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Rote Vögel von Mohammed Hanif

Harte Fakten

Titel Rote Vögel
Autor Mohammed Hanif
Übersetzer Michael Schickenberg
Erscheinungsjahr 2019
Seitenzahl 320

Inhalt: Wüste, Flüchtlingslager, Bruchlandung, Hund

Ein us-amerikanischer Pilot, Major Ellie, bruchlandet in der Wüste. Ein fünfzehnjähriger, Momo, hat seinen Bruder Ali verloren (er wurde "verkauft") und zieht mit seinem Hund Mutt durch die Gegend. Es wird abwechselnd erzählt: Ellie, Momo, Mutt. Die Art und Weise, wie Ellie zunächst auf Mutt und dann auf Momo trifft, ist durchaus noch ganz witzig. Dann aber legt sich meine Stirn fragend in Falten. Was soll das alles? Und das Geheimnis der roten Vögel leuchtet mir überhaupt nicht ein.

Refeflektion:

An mich ist das Buch verschwendet. Warum? An der Stelle habe ich einen blinden Bildungsfleck. Ich habe keinerlei Orientierung wo ich bin. Krieg, Wüste, amerikanische Piloten. Welcher Krieg mag das sein? Mir kommt es so vor, als hätte es seit den Neunzigern ständig solche Kriege gegeben. Ich habe noch nie ein Buch gelesen, das dieses Setting hatte. Filme - vielleicht Jarhead, da wusste ich aber die ganze Zeit wo und wann ich bin und es war eine amerikanische Sicht, ausschließlich.

 

Hier habe ich auch ein wenig die amerikanische Sicht: den Piloten. Es ist tatsächlich sogar für mich fast unterhaltsam zu sehen, wie egozentrisch und wenig reflektiert der amerikanische Pilot hier ist. Fast schäme ich mich fremd (oder eben nicht fremd, er stellt ja irgendwie meine Zivilisation dar). Er ist zwar in einer exotischen Umgebung, sogar den Gnaden der Einheimischen ausgeliefert, aber er schafft es trotzdem, in seinem eigenen Teller zu bleiben. Ich bin baff. Da schaffen andere doch schon mehr, wenn sie sich nur mal eine halbe Stunde im Zug unterhalten, oder?

 

Gut finde ich, dass es drei Ich-Erzähler gibt. Dass (zunächst) alle männlich und einer davon ein Hund ist, stört mich nicht. Ich finde sogar, die haben alle drei ihre unterschiedliche Sprache und Priorität, das ist sehr gelungen. Im letzten Viertel kommen noch ein paar Ich-Erzähler*innen hinzu, drei davon weiblich. Das nimmt aber nicht viel Raum ein und ist quasi schon der Showdown.

 

Die Sicht des Hundes ist auch deswegen so reizend, weil er sich so sehr bewusst ist, dass er ein Hund ist. Er grämt sich nicht deswegen oder ist stolz drauf, er weiß es nur. Er denkt nicht so, wie ich mir Hundegedanken vorstelle. Auch nicht so, wie Timmy, der Hund, bei den Fünf Freunden manchmal denkt, wenn die Perspektive mal zu ihm schwenkt. Selbstverständlich habe ich keine Ahnung, was Hunde denken. Vielleicht ist es eher wie bei Austers Roman Timbuktu. Allerdings war der dann doch hündischer. Er wusste gewisse Dinge nicht, die Hunde nicht wissen können, wie z. B. dass er vom Tierarzt sterilisert wurde. Mutt, der hündische Erzähler in "Rote Vögel", weiß schon eher nahezu alles, vielleicht sogar besser als ein Mensch es in seiner Situation würde.

 

Es gibt noch ein gravierendes Problem: Die Ich-Erzähler sind mir unsympatisch. Bei dem amerikanischen Piloten ist das mit hoher Wahrscheinlichkeit Absicht, seine abstoßende Art und Weise in seinem eigenen Kosmos zu schwirren, diese ekelhafte Selbstbezogenheit (sorry für die Flut von Adjektiven), das ist widerlich. Ja, vermutlich Absicht und dann sehr gelungen. Vielleicht soll ich mich selber sogar gespiegelt bekommen und mich selber widerwärtig finden?

 

Aber warum ist auch der fünfzehnjährige Momo so unerträglich in seiner Art und Weise, stets alles zu Geld machen zu wollen?

Allenfalls Mutt, der Hund, ist noch einigermaßen nett, aber auch da vermisse ich Identifikationsmomente. Ist das etwa auch alles Absicht?

Wieso lese ich ein Buch mit lauter schwer beizukommenen Herren? Es sind unter 300 Seiten, also machbar. Aber wären es 800 gewesen, so wie bei "Lovecraft Country" (das ich kürzlich abgebrochen habe), ich würde wohl auch hier abbrechen.

 

Mindestens eine der Ich-Erzählerinnen am Ende ist mir durchaus sympathisch, allerdings nimmt die insgesamt keine dutzend Seiten ein.

 

Nach dem Abschluss des Romans habe ich noch mal den Artikel in der phantastisch! (Nr. 76) gelesen, der mich dazu bewogen hatte, das Buch zu kaufen und zu lesen. Einigem stimme ich zu. Ja, es ist ganz gut, wenn wir mal über den Tellerrand schauen und das Buch bietet in der Tat ein paar andere Perspektiven. Aber (und jetzt werde ich mal frecher als es sonst meine Art ist), was spricht dagegen, dem Buch einem Hauch von Handlung zu geben? Ich denke, ich könnte das auf einer A4 Seite zusammenfassen. Oder einer halben. Dabei hätte es mehrere Identifikationsmöglichkeiten für mich gegegeben. Ein Paar, der erfolglos versucht ein Baby zu bekommen. Eine Mutter, die nicht weiß, wo ihr Sohn ist. Ein Junge, der plötzlich ohne seinen Bruder leben muss.

 

Der Rezensent der phantastisch! hofft auf mehr Publikum im europäischen Raum und wie gern würde ich dem zustimmen. Bin ich zu ungeduldig? Ist es denn zu viel verlangt, dass ein Roman ein wenig Spannung, Unterhaltung oder Identifizierungsmomente mit den Charakteren bietet? Bin ich zu sehr old school?

 

Nun wird auch klar, dass ich nicht aufgrund meiner Allgemeinbildung verloren bin. Die Wüste ist in der Tat namenlos, das Volk bleibt unbenannt, der Krieg ebenfalls. Es geht gar nicht ums Detail. Es ist ein beliebiger Krieg, ein beliebiges (muslimisches) Volk, eine beliebige Wüste. Der Rezensent meint auch, der Roman segele haarscharf an Klischees vorbei. Welchen denn? Ich habe ein paar vage Ideen dazu im Kopf, aber nichts greifbares. Die Gestalten haben echtes Leben? Hm naja. Da bin ich nicht ganz sicher. Trockener Humor, ja, da stimme ich zu, wobei mir das vor allem anfangs noch sehr positiv aufgefallen war, später ging dieser Humor wohl über meinen Kopf.

 

Da sieht man mal wie unterschiedlich man einen Roman empfinden kann. Einer denkt, es sei ein Stück Weltliteratur. Ich freue mich nur, dass ich das Buch nun erledigt habe und ein neues beginnen kann, dass mir fast mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit besser gefallen wird.

 

Einschränkung: Wenn ich einen Blick auf die amazon-Bewertungen werfe, schreibt hier jemand: "Satire: Literatur- Politik- und Geschichtskenntnisse sind für eine gerechte Beurteilung unabdingbar".

 

Jemand anderes schreibt (und das beruhigt mich), die Figuren würden irreal handeln und das ganze Setting sei absurd. Ja. Das vermute ich auch. Und dass ihn keine Figur begeistern konnte. Ja. Außerdem sei das Ende unbefriedigend. Ja. War das überhaupt ein Ende? Er sagt sogar, er verstünde das ganze Buch nicht.

Ok, also möglicherweise reicht meine Bildung nicht aus, aber offenbar bin ich nicht die Einzige.

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