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Gewönne doch der Konjunktiv von Wolf Schneider

Inhalt

Mein erster Kontakt mit Wolf Schneider war in den Neunzigern. In einem Journalistik-Kurs, den damals meine Schule bezahlte, wurde uns Deutsch fürs Leben des Autors empfohlen, das ich damals mit großem Vergnügen las. Klar, Schneider ist manchmal ein Spaßverderber. Grammatikalische Unkorrektheiten verträgt er genauso wenig wie Anglizismen und oft gewinne ich den Eindruck, dass er die Sprache am liebsten so bewahren würde, wie sie in seiner Jugend war. 

 

Nichtdestotrotz lese ich ihn ganz gern und er trifft meinen Humor, auch wenn ich mir am Ende des Tages dann doch meine eigene Meinung darüber bilde, ob ich die von ihm angeprangerten Gewohnheiten wirklich so schlimm finde. 

 

Adjektive, Wortschablonen, das Stilmittel der Untertreibung, klare Sprache, Weitschweifigkeit und Sparsamkeit - fast jedes Thema beim Schreiben, egal ob Reportage, Festrede oder Prosa, findet hier mindestens ein Kapitel.

 

Schneider, 1925 geboren und somit locker fünfzig Jahre älter als ich, mag einer komplett anderen Generation entstammen, stellenweise ist er aber erstaunlich modern. Auch er räumt ein, dass die Zeit uns und auch ihn beeinflusst und er vor 50 Jahren die Buddenbrooks gern gelesen hat, heutzutage aber kaum noch über den Anfang hinauskommt, es sei "kaum noch auszuhalten". Das gelte aber längst nicht für alle älteren Werke oder Klassiker, es gab laut Schneider immer schon Autor:innen, die kurzweilig und für uns Leser:innen geschrieben haben, wie Poe, Kleist und Dostojewski. Witzig das Zitat von H. G. Wells, der 1928 über James Joyce Riesenromane sagte: "sie zu schreiben müsse amüsanter gewesen sein, 'als deren Lektüre je sein wird".

 

Lernen über die eigene Muttersprache

Ich habe auch tatsächlich einiges über die deutsche Sprache gelernt. Zum Beispiel wusste ich nicht, dass folgende deutsche Worte keinen Plural haben:

  • Aktivität
  • Sensibilität
  • Funktionalität
  • Symptomatik
  • Passivität

Bei Fleiß, Standard und Zorn wäre es mir klar gewesen. Doch so etwa wie "Aktivitäten" liest man ja so oft - Schneider schreibt dazu:

 

Auf Deutsch ist es nämlich schlicht falsch, von Aktivität einen Plural zu bilden. [...] Die Aktivität ist erstens die Summe aller Aktionen, zweitens das aktive Verhalten, die Tatkraft, die Geschäftigkeit. [...] Warum dieser Plural, der logisch falsch und sprachlich töricht ist? Er macht dritten Reiz des Modewortes aus, neben dem Unpräzisen und dem Amerikanischen_ Plural ist akademische Mode, vermutlich weil er zum einen die Silbenanzahl vermehrt und zum andern den Eindruck einer abdeckenden Ausdrucksweise vermittelt, eines sprachlichen Zugriffs auch auf die letzte Einzelheit. Niemand möchte mehr ein bloßes Problem haben, wenn er sich mit Problemkreisen oder Problematiken schmücken kann, gegen die sich Problemlösungsaktivitäten ins Feld führen lassen.

 

Allerdings wurde ich darauf hingewiesen, dass der Duden inzwischen "Aktivitäten" erlaubt. Womöglich hat sich hier seit Erscheinen des Buchs auch einiges getan.

 

Folgendes war ebenfalls sehr erhellend - die Verwendung des Bindestrichs kann weitreichende Folgen haben:

 

[...] ziemlich rar geworden ist die Fähigkeit, zu unterscheidenzwischen Zwei-Kilo-Tüten (d. h. Tüten, in die zwei Kilo passen), zwei Kilo-Tüten (d. h. zwei Tüten, in die je ein Kilo passt) und zwei Kilo Tüten (d. h. Tüten von nicht genannter Größe, die zusammen zwei Kilo wiegen)

 

Phrasen und Worthülsen 

Im Kapitel "Auch Eisberge kochen nur mit Wasser" geht es darum, dass aus abgewandelten Phrasen oft schiefe oder gar falsche Bilder entstehen. Sein Beispiel ist ganz griffig:

 

Wenn sich Vögel mausern, so stoßen sie die alten Federn ab und bekommen ein frisches Kleid. Dass sie dabei Vögel bleiben, sollte festgehalten werden – wenn wir nämlich eines der beliebtesten Beispiele für Bildersprache anleuchten: dass dieser oder jenes sich gemausert habe zu … Etwa ein Bahnhof zum Museum oder ein Feind zum Freund oder «die Seifenoper zum Einschaltquotenrenner». All das kann man in der Zeitung lesen. Was geht hier im Kopf des Schreibers vor?

 

Erstens, er wünscht seine Sprache mit einem Bild zu schmücken. Zweitens, er bedient sich - das spart Zeit und Geisteskraft - eines Bildes, an dem schon tausend Schreiber vor ihm herumgefummelt haben; viel Schmuck für die eigene Sprache fällt da nicht mehr ab. [...] Wer so viele Torheiten mit nur zwei Silben zu begehen weiß, der lässt die Spitze eines Eisbergs aufblitzen, den wir nicht unter den Teppich kehren sollten: Er verwendet Bilder, aber er betrachtet sie nicht, oder anders ausgedrückt: Zwar soll ein Publikum ihm lauschen, aber sich selber hört er nicht zu.

Drittens, er glaubt entweder, dass Feinde, Opern, Bahnhöfe ein Federkleid besäßen – oder dass es zumindest naheliegend wäre, sie mit gefiederten Flugobjekten zu vergleichen. Viertens schließlich unterstellt der Schreiber, dass am Ende der Mauser ein gänzlich anderes Wesen stehen, aus dem Vogel also etwa ein Zitronenfalter geworden sein könnte.

 

Das ist sicherlich sehr streng - aber trotzdem gut zu wissen. Ich kann mich noch immer entscheiden, das Bild des "Mausern" falsch zu verwenden, weiß dann aber nach der Lektüre dieses Kapitels immerhin, was ich da treibe.

 

Das Thema greift er im Kapitel "Von Zwecken und Dampfhühnern" wieder auf und warnt davor, dass allzu "spielerischer Umgang mit der Sprache" auch "Schwachsinn hervorgebracht" habe. Als Beispiele nennt er "Der Platzhirsch musste Federn lassen".

 

Zensur oder andere Restriktionen können auch sehr kreativ machen. Im Kapitel "Heimweh nach der Zensur" findet sich eine herrliche Anekdote über das Erfrischen eines abgenutzten Schimpfworts.

 

Billy Wilder erzählt die Geschichte, wie er, 1933 aus Berlin nach Amerika geflohen, in einem seiner ersten Drehbücher das amerikanische Universalschimpfwort son of a bitch verwendete – irgendwo zwischen «Schuft» und «Rindvieh» angesiedelt, wörtlich aber «Sohn einer Hündin». Da erfuhr er, dass dieser Fluch in Hollywood auf dem Index stand, und so ließ er seinen Schauspieler sagen: «Wenn du eine Mutter hättest, würde sie bellen!» Die Zensur hatte eine Gehirnwindung mehr erzwungen, aus dem abgenutzten Schimpfwort ein frisches gemacht, dabei den Grad der Beschimpfung drastisch gesteigert, und die intelligentere Hälfte des Publikums, die List erkennend, brüllte vor Vergnügen.

 

Was man (be)schreiben und was man nicht (be)schreiben sollte

Pars pro toto, dem Teil statt dem Ganzen. Nicht die Figur oder das Zimmer totbeschreiben. Das meine ich auch bei Sol Stein gelesen zu haben. 

Darüber hinaus regt er an, nur die Handlung zu beschreiben und uns Leser:innen alle Schlussfolgerungen zu überlassen. Das "aktiviert" uns und "befriedigt" uns. Oh ja. Das kann ich nur dreimal unterstreichen.

  

Im Kapitel "Die Teufelskralle der Abstraktion". Auf der Bergwiese blühten Blumen? Nein! Das ist nicht anschaulich und lebendig, so Schneider. Akelei und Berghähnlein, Knabenkraut und Teufelskralle blühen. Nenne möglichst viele Einzelheiten beim Namen (ggf. natürlich nicht alle), anstatt einen abstrakten Oberbegriff zu benutzen, von dem kein Bild im Kopf des Lesers entsteht.

 

Agree to disagree

Nicht alle Kapitel stoßen bei mir auf Zustimmung. "Vom Christinnen- und Christentum" zeigt seine Abneigung gegen das Ansprechen auch aller weiblichen Leserinnen, seiner Meinung nach führt das nicht zu besseren Lesbarkeit. Was würde er erst zum Gendern und zu Sternchen und Doppelpunkten mitten im Wort sagen? Ich möchte es lieber gar nicht wissen. Nicht alles, was Wolf Schneider denkt, meint und schreibt, muss auch ich denken, meinen und schreiben. Da werden wir uns nicht gegenseitig überzeugen, er nicht mich und ich nicht ihn. Let's agree to disagree.

 

Drück dich klar aus!

Was mich schon in den Neunzigern am meisten begeisterte und auch heute wieder zu wildem Kopfnicken bringt, ist, dass Schneider der Meinung ist, die Autor:innen müssten sich plagen, nicht die Lesenden.

Es sei nicht wahr, dass gewisse Dinge nur mit Fachjargon ausgedrückt werden könnten und Kafka und Freud hätten dies vor langer Zeit bewiesen. 

 

Fazit

Nicht alle der 66 Kapitel sind witzig oder bieten etwas neues für mich, oder wenigstens etwas, an das ich gern wieder erinnert werde. Einiges ist auch etwas redundant, wobei es mich persönlich nicht stört, ein Thema von mehreren Seiten aus zu beleuchten.

Doch es ist eben genügend Stoff vorhanden, mit dem ich mich gern erstmalig oder erneut beschäftige und größtenteils schreibt Schneider eben selber sehr unterhaltsam und überzeugend.

Ein paar Abstriche muss ich machen, stellenweise wirkt er eben doch sehr wie jemand, der sich gegen den Wandel von Sprache in eine ihm nicht genehme Richtung sperrt. 

Insgesamt jedoch kann ich aus diesem Buch viel Nützliches ziehen und auch durchaus unterhalten werden.

Harte Fakten

Titel Gewönne doch der Konjunktiv  
Autor*in Wolf Schneider 
Erscheinungsjahr 2009 
Seitenzahl 256 

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Kommentare: 1
  • #1

    Michael Kothe, Autor (Mittwoch, 24 März 2021 18:55)

    Liebe Yvonne, es lohnt sich, diesen Mann kennenzulernen, denn er spricht mir aus der Seele. Dabei kenne ich ihn und seine Ansichten nur durch Deine treffende Rezension. Recht hat er! Und Du auch, da Du ihm (zumindest bei dem, über das Du berichtest) beipflichtest. Mit der deutschen Sprache wird häufig so lieblos und unachtsam umgegangen, dass es wehtut. Der wichtigste Satz für mich ist der, dass "Autor:innen sich plagen müssen und nicht die Lesenden". Genderneutral (gemäß den Richtlinien des britischen öffentlichen Dienstes im Sinne von "male embraces female.") ausgedrückt: Wenn ich als Autor der Sprache in Bildern und Grammatik nicht mächtig bin, sollte ich meine literarischen Schöpfungen auch keinem Leser zumuten! Vielleicht hört ja jemand Schneiders Stoßgebet. Obwohl ich da nicht sonderlich optimistisch bin. Und so darf ich meinen Kommentar in Bezug auf meine Erwartungen mit einem etwas schiefen Bild beenden. Das Licht am Ende des Tunnels könnte sich als der entgegenkommende Alpen Express von Köln nach Österreich erweisen.
    Servus!
    Michael