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Science Fiction Kurzgeschichten 2021 - keineswegs alle von Männern!

Inspiriert von Theresa Hannigs Aktion #fantastischeFRAUEN, in der sie untersucht, wie viele der deutschsprachige SF-Romane der letzten von Frauen geschrieben wurden, habe ich eine ähnliche Forschungsfrage auf die SF-Kurzprosa in 2021 gelegt.

 

Im Folgenden beschreibe ich:

  • den Datenkorpus
  • die Forschungsfrage
  • die Vorgehensweise und
  • die Ergebnisse
  • vorsichtige Schlussfolgerungen
  • Fazit

Datenkorpus: 427 Kurzgeschichten

Um beachtet zu werden, muss eine Kurzgeschichte folgende Bedingungen erfüllen:

  • 2021 in einem Magazin oder einer Anthologie mit ISBN oder ISSN erschienen
  • Deutschsprachig (keine Übersetzung)
  • Erstabdruck (keine Wiederveröffentlichung)
  • Genre: Science Fiction

Ich weiß von 427 SF-Kurzgeschichten im Jahr 2021. Ob Anthologien von Verlagen wie p.machinery, Hirnkost, Verlag für deutsche Phantastik oder SF-Magazinen wie der Exodus oder der Nova oder auch dem Weltenportal und den Queer*Welten, die neben SF auch Fantasy ein Zuhause geben - was auch immer innerhalb des letzten Jahres an SF-Kurzprosa erschienen ist, habe ich berücksichtigt, sofern ich davon erfahren habe.

 

 

Natürlich hat diese Statistik Lücken. Es erscheinen immer mal wieder SF-Kurzgeschichten in anderen Literaturzeitschriften (Veilchen, Am Erker) oder auch in anderen Anthologien, die ich ggf. übersehe, Die Liste ist nicht vollständig, das kann sie wahrscheinlich auch gar nicht sein, aber ich habe die Liste mit Fachleuten abgeglichen, die in der DSFP-Jury oder beim Kurd-Laßwitz-Preis tätig sind, so dass man davon ausgehen kann, dass es jene Kurzprosa ist, die die jeweiligen Jurys auf dem Schirm haben.

Forschungsfrage

Wer hat die Kurzgeschichte verfasst, ist der/die Autor:in als Mann, Frau oder nonbinäre Person bekannt? 

 

Warum ist das wichtig? Hier verweise ich auf Theresas Artikel und Vortrag, dort zeigte sie auf, dass in den letzten Jahren recht wenige Frauen deutsche SF-Preise gewonnen haben. Jemand fragte bei twitter, wie denn das Verhältnis sei - sofern nur 5% der SF-Prosa von Frauen stamme, sei das die Erklärung. Bei den Romanen der letzten fünf Jahre kam Theresa aber zu Ergebnissen zwischen 24 und 29 Prozent, die eben nicht von Männern stammte. 

Ich hatte das Gefühl, dass die Werte bei Kurzprosa noch höher sind und habe daher die SF-Kurzprosa aus 2021 betrachtet. Leider habe ich die Werte von 2020 nicht, weil ich da erst in der Mitte des Jahres begonnen habe, massiv Kurzgeschichten zu lesen.

Vorgehensweise

Ich habe alle Magazine und mir bekannten Anthologien aufgelistet und Autor:in, und Titel aufgelistet. Fast alle Kurzgeschichten wurden von nur einer Person verfasst. In einem Fall war ein Team am Werk, da habe ich beide Autor:innen voll gezählt.

 

Da in fast allen Anthologien und Magazinen auch eine Vita der Autor:in vorhanden war, habe ich dort das Geschlecht nachgeschlagen. In einigen Fällen habe ich zusätzlich die sozialen Medien und die Webseiten durchsucht. Sofern ein:e Autor:in mit einem klaren Pronomen (er oder sie) belegt wurde, aber trotzdem nonbinär ist, was nicht explizit erwähnt wird, musste ich dann davon ausgehen, dass es sich (je nach Pronomen) um entweder eine Frau oder einen Mann handelt. Ich kann Missgendering nicht ausschließen. In diesem Fall halte ich das für akzeptabel, da die Person dann wohl auch vom Publikum und von den Jurys entweder weiblich oder männlich gelesen wird. Es sind natürlich auch nicht alle nonbinären Personen geoutet.

 

Die 427 Geschichten sind von insgesamt 273 Personen, da viele davon mehr als eine Geschichte veröffentlicht haben.

Ergebnisse

Und und und?

 

256 der 427 Geschichten sind von Männern. Das sind 60 Prozent. Gut, mehr als die Hälfte.

158 der Geschichten sind von Frauen.

13 der Geschichten sind von nonbinären Personen

Das ist das Ergebnis, wenn ich jede Geschichte für sich zähle. Wenn ich mir die 273 Personen anschaue, die jeweils mindestens eine Geschichte veröffentlicht haben, sieht es so aus:

160 Männer (58,6 %) haben mindestens eine SF-Kurzgeschichte in 2021 veröffentlicht

109 Frauen (39,9%)

4 nonbinäre Personen (1,5%)

Wenn man es so rechnet, ist die männliche Gruppe also sogar noch etwas kleiner.

Schlussfolgerungen?

Eine spannende Frage ist: Sieht es bei den Einreichungen ähnlich aus? Werden rund 60 Prozent der SF-Kurzgeschichten von Männern eingereicht?

 

Öffentliche Aussagen dazu gibt es wenige. Ich habe von der Nova gehört, dass sie weniger erhalten. Chris Grimm vom Weltenportal hat gesagt, er würde rund die Hälfte von Männern erhalten, allerdings nimmt er auch Fantasy und Horror an. 

Herausgeber:innen, kommentiert gern, hier oder bei twitter, ich bin an den Antworten interessiert.

 

Tatsache ist: Einige Magazine und Anthologien haben einen auffallend hohen oder einen auffallend niedrigen Männeranteil. Es ist wenig überraschend, dass die Queer*Welten einen hohen Anteil an nonbinären Autor:innen hat. Das Weltenportal hatte bei der letzten Ausgabe einen extrem niedrigen Männeranteil (Sven Haupt. Punkt. Der Rest der SF in Erstveröffentlichung ist von Frauen). Die Nova hingegen hatte in den letzten beiden Ausgaben (29 und 30) keine Kurzprosa von Frauen und in Nummer 31 wird es nur einen Prosa-Beitrag geben, der nicht von einem Mann ist.

 

Übrigens: Falls jemand feststellt, dass nicht viele Frauen Kurzprosa oder Romane einreichen, könnte jemand sich auch fragen, woran das liegt. Meine Arbeitgeberin ermutigt beispielsweise aktiv Frauen, sich zu bewerben, vor allem in technischen Sparten, wo die Frauenquote bei uns bisher noch sehr dürftig ist.

 

Die spannendere Frage wird sein: Wie viel Kurzprosa von Frauen und nonbinären Personen wird es auf die Short List des Kurd-Laßwitz-Preises und auch auf die des Deutschen SF Preises schaffen?

Fazit

Klares Ergebnis: Längst nicht nur Männer sind aktiv in der deutschsprachigen Kurzprosa-Szene. Wie ich vermutet hatte, sind Frauen und nichtbinäre Personen bei den Kurzgeschichten aktiver und zahlreicher vertreten als bei den Romanen.

 

Dieses Engagement wird sich hoffentlich auch bei den Preisen für 2021 widerspiegeln. Ich bin sehr gespannt!

Kollateralergebnisse: Die fleißigsten Schreiber:innen

Zwar hatte ich danach nicht gefragt, aber das Ergebnis kam quasi kostenlos dazu. Durch die Art meiner Auswertung konnte ich natürlich auch sehen, wer die meiste SF-Kurzprosa in 2021 veröffentlicht hat. 

 

Hier die Top-10:

  1. Monika Niehaus: 15
  2. Christian Endres: 12 (übrigens fast alle in Magazinen und Anthologien, in seinem Sherlock-Holmes Band war nur wenig SF)
  3. Rainer Schorm: 9
  4. Maike Braun: 7
  5. Aiki Mira: 7
  6. Peter Mathys: 6 (ein eigenem Kurzgeschichenband)
  7. Hans Jürgen Kugler: 6 (und daneben hat er noch einen Roman geschrieben!)
  8. Thomas LeBlanc: 6
  9. Jörg Weigand: 6
  10. Ellen Norten: 5

Übrigens haben 62 Personen mehr als eine Kurzgeschichte veröffentlicht. 

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Kommentare: 10
  • #1

    Michael Schmidt (Montag, 03 Januar 2022 09:36)

    Hast du mal ein Beispiel für einen nonbinären AutorIn?

  • #2

    Yvonne (Montag, 03 Januar 2022 09:38)

    Hi Michael,
    die vier, die ich habe, sind glaube ich alle geoutet, Judith C. Vogt, Aiki Mira, Jol Rosenberg und Chris* Lawaai.
    LG Yvonne

  • #3

    Michael Schmidt (Montag, 03 Januar 2022 09:43)

    In den letzten drei Zwielicht Ausgaben waren von den Erstveröffentlichungen im Durchschnitt 25% der Geschichten von weiblichen Verfassern.

    Bei Zwielicht Classic waren es bei den letzten drei Ausgaben 50%. Wenn man aber die Übersetzungen mitzählt, verringert sich der Frauenanteil.

    Bei Fantasyguide präsentiert waren es bei den letzten drei Asugaben übrigens ein Drittel Autorinnen.

  • #4

    Michael Schmidt (Montag, 03 Januar 2022 09:45)

    Hallo Yvonne,

    die vier Personen kenne ich nicht. Inwiefern sind die binär?

    Bis bald,
    Michael

  • #5

    Yvonne (Montag, 03 Januar 2022 10:34)

    Wie ist es denn mit den Einreichungen? Reichen einfach weniger Frauen Horror ein?

    Es wäre interessant, das mal im großen Stil beim Horror-Genre im deutschsprachigen Raum zu untersuchen, nur kenne ich mich viel zu wenig aus.

  • #6

    Michael Schmidt (Montag, 03 Januar 2022 11:03)

    Ich führe über die Einsendungen kein Buch. Aber bei Horrorromanen kannst du hier nachschauen:
    https://phantastik-literatur.de/forum/index.php?thread/1718-horror-roman-national-2020-2021/

    Wenn ich richtig gezählt habe, sind 49 von 71 Werken von Autoren.

  • #7

    Yvonne (Montag, 03 Januar 2022 11:04)

    Cool, danke dir, das klingt ja ähnlich wie bei den Romanen im SF Genre

  • #8

    Michael Schmidt (Montag, 03 Januar 2022 11:19)

    Zum Vergleich die Vincent Preisträger:
    https://vincent-preis.blogspot.com/2010/08/die-ubersicht-der-bisherigen-vincent.html

    Bei International, Grafik und Storysammlung sind alle Preisträger männlich. Bei Kurzgeschichten ist der Frauenanteil bei 15,4% (Isa Grimm ist Kai Meyer!). Beim Sonderpreis 7,7%, bei Romanen 8,3%, bei den Anthologien sind die Herausgeber zu 20,8% weiblich.

    Aussagekräftiger wäre wahrscheinlich aber die Nominerungslisten im Details zu betrachten. Ich weiß aber nicht, ob der Anteil soviel anders ist. 2019 war es ähnlich wie hier gelistet:
    https://vincent-preis.blogspot.com/2020/05/die-ergebnisse-des-vincent-preis-2019.html

  • #9

    Michael Schmidt (Montag, 03 Januar 2022 11:28)

    Ich habe mal versucht das Geschlecht der Abstimmenden 2019 zu ermitteln. Es waren knapp über die Hälfte der Abstimmenden (die Personen wo das Geschlecht auf die schnelle nicht ermittelt werden konnte, habe ich weggelassen) weiblich bei Vincent Preis 2019, beim Vincent Preis 2018 war der Anteil an weiblichen Abstimmenden dagegen nur bei 18%.

  • #10

    Michael Schmidt (Montag, 03 Januar 2022 11:52)

    In der Schauerliste sind bisher 15% der vertretenen Werke aus weiblicher Feder (Anthologien habe ich außen vor gelassen):
    https://vincent-preis.blogspot.com/search/label/Schauerliste