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Ableismus von Tanja Kollodzieyski

Harte Fakten

Titel Ableismus 
Autor*in Tanja Kollodzieyski 
Erscheinungsjahr 2020 
Seitenzahl 20 

Inhalt

Toller Aufsatz - ich will mehr! Ich kann mir gut vorstellen, das Thema in einem etwas dickeren Sachbuch behandelt zu sehen, auch mit Textbeispielen aus der Literatur oder aus Film und Fernsehen. Das gäbe sicher eine Menge her. Ich hoffe, jemand macht so ein Buch bald. Das lese ich dann.

 

Meine Betrachtung von Tanjas Aufsatz ist mit subjektiven Erfahrungen durchmischt. Ich hoffe, ich habe ihre Aussagen richtig verstanden und was ich mit eigenen Betrachtungen aus nicht-behinderter Sicht angereichert habe, passt auch zu diesen Aussagen.

 

Was genau ist Ableismus?

In Kapitel 1 wird eine Definition versucht, die für mich ganz lehrreich ist. Bisher hatte ich mir das ähnlich vorgestellt wie Rassismus oder Sexismus, nur eben auf Behinderte gemünzt. Die Autorin schreibt, es ginge darum, "wie nicht-behinderte Menschen das Leben von Menschen mit Behinderung bewerten, welche Bilder und Stereotypen sie im Kopf haben, wenn sie an behinderte Menschen denken." Sie betont, dass diese nicht feindlich sein müssen. Oft sind diese auch passiv erworben. Wir Nicht-Behinderten wissen gegebenenfalls einfach zu wenig, haben subjektive Erfahrungen oder nur Falschinformationen aus den Medien. Es wäre gut, diese Bilder mal zu hinterfragen - entsprechen sie überhaupt der Realität?

Sie betont, dass Ableismus mehr ist als nur Behindertenfeindlichkeit, bzw. man muss Behinderten keineswegs feindlich gesinnt sein, um sich ableistisch zu verhalten. Interessant auch, wie sie betont, dass auch Behinderte sich ableistisch benehmen können. Sie als Rollstuhlfahrerin kennt sich ja mit der Lebensrealität einer blinden Person zum Beispiel nicht aus.

Ableismus wird auch von behinderten Menschen nicht unbedingt erkannt, weil das für sie alltäglich ist und sie damit aufgewachsen sind. Das kann ich von Sexismus durchaus nachvollziehen, den sehe ich manchmal auch immer noch nicht.

Richtig hart ist das Beispiel der Kinder, die das behinderte Kind aufgrund seiner Behinderung nicht zu Feiern einladen.

 

Sichtbarmachen von behinderten Menschen

Vor wenigen Jahren kamen die ersten Rollstühle in Lego-Sets heraus. Playmobil war da meines Wissens etwas schneller. Rollstuhlfahrer:innen werden endlich bei Spielzeug sichtbar gemacht. Aber es ist immer noch wahr: zu selten sehen wir behinderte Menschen. Sie werden auch seltener angesprochen, als Kund:innen oder Wähler:innen.

 

Wünsche behinderter Menschen

Behinderte denken nicht ständig über ihre Behinderung nach. Das hat mich damals schon gestört, als in den sozialen Medien ein Meme umging, der ungefähr so ging: Krebskranke wünschen sich nicht mehr Geld oder haben Liebeskummer, sie haben nur den Wunsch, zu überleben. Ich hätte am liebsten jedes Mal einen ellenlangen Kommentar drunter geschrieben. Weil es eben meiner Meinung nach falsch ist. Das wusste ich aus dem Umgang mit meinem damals krebskranken Bruder. Der hatte tausend Wünsche und Gedanken, die sich eben nicht um seine Krebserkrankung drehten. Ich fand es fehl am Platz, einfach davon auszugehen, dass Krebskranke nichts anderes im Kopf haben. 

Ähnliches betont Tanja in ihrem Aufsatz. Behinderte haben Karrierewünsche. Kinderwünsche. Alle möglichen Wünsche. 

 

Sprache und Beleidigungen

Wir kennen das, oder? "Du Spast!" und ähnliche Beleidigungen aus dem Umfeld der Behinderungen sind ein No Go. Ich erinnere mich, als ich ungefähr neun Jahre alt war, spielte ich mit einem Mädchen namens Meike. Ein paar ältere Jungen ärgerten uns, als sie mich lachen hörten. Als Kind hatte ich ein sehr charakteristisches, glucksendes Lachen. "Die lacht ja wie behindert!", sagte der eine zum anderen. Meike sagte laut und deutlich: "Das finde ich nicht in Ordnung. Mein Bruder ist behindert." Es ist nicht in Ordnung, so etwas zu sagen. Und tatsächlich war ihr Bruder dann der erste Rollstuhlfahrer, den ich in meinem Leben kennenlernte. 

Die Autorin weist außerdem darauf hin, dass sprachliche Alternativen zu "Behindert" zwar oft gut gemeint, oft aber nur vermeintlich positiv sind. "Behindert" ist das Wort. Außerdem sind nicht die Menschen an sich behindert, sondern Behinderung kommt von außen, z. B. durch die fehlende Rampe wird die/der Rollstuhlfahrer:in behindert.

 

Inklusion

Ja, die Ämter sind normalerweise barrierefrei. Was ist mit Kneipen? Mit Restaurants? Vor ein paar Jahren war ich öfter mal mit einem Kollegen abends einen trinken, er sitzt im Rollstuhl. Wenn wir überlegten, wohin wir abends wollten, gab es zu einigen Orten immer den Zusatz: "Drei Stufen". "Zehn Stufen". Einiges ging, weil wir normalerweise zu mehreren waren und ihn tragen konnten. Anderes kam aufgrund zu vieler Stufen einfach nicht in Frage.

Auch das Bahnfahren mit ihm war ganz anders, ich habe die Züge und Bahnhöfe plötzlich aus einer neuen Sicht erlebt. Ein wenig zurück kam das, als ich mit Kinderwagen unterwegs war (wobei der leichter zu tragen ist als ein achtzig-Kilo-Mann im Rollstuhl).  

Richtig schwer wird das Lesen des Aufsatzes mit dem Hinweis von Covid-19. Risikogruppen - oft gehören hierzu auch behinderte Menschen. Wie schützenswert ist ihr Leben? Hier geht es dann nicht mehr nur um Teilhabe, hier geht es um Leben und Tod. Da wird mir ganz anders.

 

Fazit

Das sind nur einige Gedanken aus dem Aufsatz. Ich finde ihn sehr lesenswert. Vor allem als Autor:in, wenn man Wert auf die Inklusion behinderter Menschen legt, ist das ein guter Anfang (Sensitivity Reading kann diesen Kreis abrunden). Als Ebook nur 1,99 Euro, auch als Print ist es beim Verlag erhältlich. 

Der Autorin kann man bei Twitter folgen.

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