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Spieltrieb von Juli Zeh

Inhalt

Die ersten knapp dreihundert Seiten frage ich mich noch, was denn eigentlich der Plot ist. Dann endlich wird es mir klar und ich mag den Plot nicht. Ich mag auch die Figuren nicht, bis auf die Lehrer Höfi und Smutek. Die Protagonistin Ada ist zum größten Teil unsympathisch und der neue Mitschüler Alev, mit dem sie sich anfreundet, ist sogar hochgradig fies und kaum zu ertragen. 

  

Warum also habe ich das Buch trotzdem gelesen und die ersten paar hundert Seiten sowie den Schluss sogar genossen?

 

Die Autorin kann einfach irre gut schreiben. Selten oder sogar bisher noch nie haben es Szenen geschafft, solche Filme bei mir zu erzeugen. Alleine schon folgende Lieblingsszenen:

  • Lehrer Smutek, wie er die Protagonistin Ada das erste Mal laufen sieht. Wirklich, es ist so gut geschrieben, ich kann den Schweiß riechen.
  • Ada, wie sie das erste Mal bei der Bandprobe der Band "Ohren" von Olaf und co. dabei ist. Ich stehe neben ihr im Proberaum und höre alles.

Es ist irre. Es ist der Wahnsinn. Das muss ich einfach betonen. Die. hat. das. wirklich. drauf.

Was Atmosphäre und Stil betrifft, ist sie ab sofort mein ganz großes Vorbild.

 

Dabei macht sie vieles anders, als ich es gern hätte. Hier und da kommt mal eine Floskel und große Teile sind nicht szenisch, sondern narrativ zusammengefasst. Und sie ist keine Isabell Allende, die solche Zusammenfassungen richtig gut drauf hat. Zehs Stärke ist meiner Meinung nach genau das szenische Erzählen und das Erlebbar-Machen für uns Lesende.

 

Es gibt Details, die ich noch nie gelesen habe - und nach so etwas suche ich immer mit aller Energie. Dazu Metaphern, die absolut treffend und überwältigend sind. Da kann ich nur staunen. 

 

Der Roman spielt in einer Schule um 2002/2003 herum und es kommen einige sehr seltsame Gestalten vor, allen voran die äußerst merkwürdige Ada, die extrem intelligent und fast schon absurd belesen ist. Dazu der etwas normalere Lehrer Smutek aus Polen, der fast sogar sympathische Olaf und irgendwann auch Alev, der von überall her und nirgends kommt und sich so benimmt, wie ich es von einem Jungen um die achtzehn nicht für möglich gehalten hätte (seltsamerweise ist es trotzdem überzeugend).

 

Nicht alle Seiten lesen sich so irre gut. Wäre dieser Roman ein Wunschkonzert, ich hätte doch einiges gekürzt und angeregt, anders zu machen. Trotzdem. Einige Stellen sind so dermaßen schweinescheißgut, dass ich dieser Autorin ab sofort deutlich mehr Beachtung zukommen lassen werde.

 

Nach circa 300 Seiten kommt doch noch ein Plot durch - der liest sich für mich aber nicht sehr angenehm, da das Thema mir gar nicht liegt. Ich muss mich quälen, bis circa 100 Seiten vor Schluss die Story für mich noch einmal an Fahrt aufnimmt und an ein für mich erleichterndes, geradezu versöhnliches Ende gelangt. Ich sehe zwar ein, warum diese fiese Phase in der Mitte des Romans notwendig ist, jedoch lese ist so etwas gar nicht gern. Es war kaum auszuhalten. Ich habe mehrfach fast abgebrochen und hatte Gedanken wie: "Muss man so etwas thematisieren, um auf die Bestsellerliste zu kommen?" (muss man sicherlich nicht zwingend). Juli Zeh ist selber Juristin und daher ist die Verhandlung, das Plädoyer und der Ausgang der Story glaubwürdig und sehr interessant. 

 

Trotzdem brauche ich eine längere Pause, bis ich wieder etwas von ihr lese. Unterhaltung ist dann doch etwas anderes.

 

Krass finde ich, dass die Lektüre an einigen Schulen Pflicht ist. Das hätte ich in dem Alter doch ungern gelesen. Ebenfalls beeindruckt bin ich, dass es sogar verfilmt wurde. Ich glaube, ich passe.

 

Textbeispiele

Hier einige Metaphern und Beschreibungen, die mich besonders beeindruckt haben:

  • Ein Müllwagen bog um die Ecke und trank Mülltonnen auf ex. (Passend vor allem deswegen, weil die Prota hier gerade von einer Party kommt.)
  • Ihre Stimme war eine halbe Oktave in den Keller gerutscht und vibrierte unten im Brustkorb, als wollte sie die Werbeansage für eine Erotik-Hotline auf Band sprechen.
  • ... und ihn wie einen Idioten vor der Klasse stehen ließ, leuchtturmgroß, deplatziert wie ein voll ausgerüsteter Christbaum an einem Sommertag.

Harte Fakten

Titel Spieltrieb 
Autor*in Juli Zeh
Erscheinungsjahr 2004 
Seitenzahl 574 

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