· 

Queer*Welten 5

Inhalt

Diesmal habe ich die Queer*Welten am Tag des Erscheinens gekauft, yeah! Es gibt drei Kurzgeschichten und einen Essay:

 

Stadt der Sündigen von Romy Wolf

Bedenke, welche Haarfarbe du wählst, unter Umständen musst du dann ewig mit ihr leben (sehr nettes Detail gleich am Anfang übrigens).

Das Setting ist eindringlich beschrieben und entblättert sich erst nach und nach. Vor allem, dass vieles nur nutzlose Fassade ohne jede Funktion (abgesehen von der visuellen) ist, bleibt mir gut im Gedächtnis.

Die Protagonistin Leah hat eine so schöne Gabe, dass ich sie sofort engagieren würde, würde sie in meiner Welt leben. Sie lässt jene, die sie dafür bezahlen mehr als nur träumen. Klingt wie Urlaub im eigenen Kopf mit deinen liebsten "Erinnerungen und Sehnsüchte[n]". Dann kommt jemand mit einem speziellen Wunsch auf sie zu. Doch das ist nur der Initiator für den eigentlichen Plot: Eigentlich entsteht die Dynamik der Geschichte aber zwischen den beiden Hauptfiguren Leah und Salome. Ihre Vergangenheit wird mehr angedeutet als ausgeführt. Vieles bleibt subtil, eher unter der Oberfläche. Eine Geschichte, die sich in naher Zukunft erneut zu lesen lohnen wird. 

Autorinnenwebseite und Twitter-Account

 

Das letzte Marzipanbrot von Rebecca Westkott

Gerade habe ich Diagnose F beendet und irgendwie hätte die Geschichte auch dorthin ganz gut gepasst. Hat sich eigentlich mal jemand überlegt, wie Einhörner Schmerzen bekämpfen? Oder wie unangenehm Glühwürmchen-Flatulenzen sind? Wie es aussieht, wenn Einhörner Durchfall bekommen?

Auch wenn die ersten zwei bis drei Seiten womöglich noch nicht ganz so ernst klingen, dass sie eine sehr ernste Sache beschreiben, wird auf Seite 3 dann wirklich klar. Die Protagonistin, Frau Einhorn, leidet unter unvorstellbaren Kopfschmerzen. Und wer meint, das Adjektiv gehöre da nicht hin, doch, das passt in dem Fall. Ihre Chefin kann sich nämlich gar nicht vorstellen, dass das so schlimm ist. Sie will Frau Einhorn bei der Arbeit haben. 

[...] Sie bleiben zuhause, weil sie Kopfschmerzen haben?!" Er spuckt das Wort in den Hörer. "Da nehmen sie halt eine Aspirin und schwingen Sie die Hufe!!"

Mir persönlich hätte es besser gefallen, wenn die Story nicht ganz so abgefahren gewesen wäre. Ich verstehe aber, dass es zum Thema passt und außerdem lesen wir hier schließlich Phantastik, keine Vanille. Der eigentliche Ernst des Themas und die Diskriminierung kommen trotzdem bei mir an. 

Nach der Episode mit dem Arbeitgeber ist aber das Leiden leider noch nicht vorbei. Im Amt erfolgt dann das nächste respektlose Nicht-Verstehen der Situation der Heldin. Der Schluss hingegen ist mehr als versöhnlich.

Twitter-Account 

 

Rechter Haken von Jol Rosenberg

Diese Geschichte ist aus der personalen Perspektive von Nori erzählt. Nori ist ein Klon. Diese unterscheiden sich in Jols Geschichte doch in mehreren Punkten vom Menschen - nicht nur in der Erziehung und Ausbildung, auch körperlich gibt es Unterschiede im Aufbau des Körper und Geruch. Einiges ist subtil, anderes ist - richtig gruselig!

Als Leserin ergreife ich sofort Partei für Nori. Seine Art zu denken und die Welt zu sehen ist arg beeinflusst von seiner Konditionierung. Doch nun lebt er unter Menschen und nicht alle Menschen sehen auf Klone herab, wie zum Beispiel der Mediziner Nelson. Aber auch dort gibt es Leute, die gern pöbeln und Nori gerät in eine Situation, in der er aus seiner Sicht nichts wirklich richtig machen kann. Lässt er sich verprügeln, kann er Schaden nehmen, seine Nutzbarkeit steht auf dem Spiel und somit könnte er eliminiert werden. Doch Klonen ist es auch streng verboten, Menschen Schaden zuzufügen.

Genial erzählt, ganz klar mein Favorit in dieser Ausgabe.

Übrigens spielt die Geschichte im 24. Jahrhundert und Nori ist eine Figur in ihrem Romanprojekt. Na, darauf bin ich jedenfalls gespannt!

Autorinnenwebseite, Insta-Seite und Twitter-Account.

 

Historisch korrekte Drachenreiter von Alex Prum

Alex spricht mir aus der Seele, wenn es dort heißt: "An sich lohnt sich diese Diskussion nicht."

Welche Diskussion denn eigentlich? Die fehlende Darstellung von Personen in der (meist mittelalterlichen) Fantasy, die nicht Cis, Männlich, weiß und able-bodied sind. So eine Diskussion dreht sich schnell um historische Korrektheit oder politische Korrektheit (mir würden sogar noch ein paar mehr Dinge einfallen). 

Nicht nur, dass wir unseren Gegenüber so gut wie nie überzeugen können, schnell kann es zu Beleidigungen kommen. Warum ist das eigentlich so? Ich diskutierte das gerade gestern mit einem sehr guten Freund. Er sagte, dass die Menschen ungern ihre Meinung ändern, eben weil das dem "Fehler zugeben" sehr nahe kommt und wer zu oft Fehler zugibt, riskiert seinen kompetenten Platz in der Gesellschaft. Gut funktionieren würden Diskussionen, bei denen das Thema für alle neu sind, a la "Wie genau gestalten wir unsere Präsentation?", aber nicht bei Dingen, bei denen die Diskutierenden bereits ihre feste Meinungen zu einem Thema haben.

Ok, das steht nicht in Alex' Essay. Sorry dafür. Das war meine neueste Erkenntnis zu dem Thema. Aber sie passt immerhin zu dem, was ich in dem Essay lese.

Wie historisch korrekt ist denn überhaupt ein Mittelalter ohne Christentum, aber mit Magiern und Wesen wie Elfen und Zwergen? Es ist ja sowieso fiktional.

Und war unser historisch korrektes Mittelalter überhaupt so queerfeindlich? Offenbar nicht. In der Bibel finden sich "überraschend wenige" queerfeindliche Passagen und im frühen Mittelalter war Homosexualität nur an sehr wenigen Orten verboten. Laut Alex' Recherchen stammt das Bild auf das Mittelalter eher aus der Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts. Dort verfestigten sich dann Bilder, die sich bis heute gehalten haben.

Alex räumt ein, dass einiges selbstverständlich im Mittelalter durchaus Einfluss hatte, z. B. darauf, wer gekämpft hat. Schwangerschaft und Geburt waren lebensgefährlich und vor der Erfindung von Schusswaffen spielte Körperkraft und körperliche Unversehrtheit im Kampf eine große Rolle. Bei Magie allerdings gilt das nicht. Der Essay beleuchtet die Möglichkeiten, die die Magie bietet sehr gründlich und zeigt einige sehr interessante Möglichkeiten auf.

Übrigens hat Alex bereits einen Roman, "Der Schleier der Welt", mehr dazu z. B. hier in diesem Interview.

 

Rezensionen und mehr

Diesmal werden Novellen rezensiert - die haben es ja hierzulande eher schwer.  

Diversität

In dieser Sektion finden sich noch ein paar explizite Gedanken zur Darstellung von Diversität im besprochenen Roman: z. B. POC, Queere Figuren, behinderte Figuren, Diskriminierung aufgrund Religionen, Alter (ob überhaupt ältere Menschen vorkommen), Übergewicht, sozialer Herkunft etc..

 

Die Queer*Welten haben ja die Diversität sozusagen abonniert. Ich habe also möglicherweise die eine oder andere Facette übersehen (Kommentare erwünscht).

 

Stadt der Sündigen hat zwei nicht-heterosexuelle Figuren, außerdem ist eine davon dunkelhäutig.

 

Die Protagonistin von Das letzte Marzipanbrot ist chronisch krank. 

 

Bei Rechter Haken ist der Protagonist ein Klon, der sich körperlich in mehrerlei Hinsicht stark vom Menschen unterscheidet. 

 

Im Essay Historisch korrekte Drachenreiter geht es um (fehlende) Diversität in der mittelalterlichen Fantasy.

Harte Fakten

Titel Queer*Welten 5 
Herausgeber:innen & Autor:innen Judith C. Vogt, Lena Richter, Kathrin Dodenhoeft, Romy Wolf, Rebecca Westkott, Jol Rosenberg, Alex Prum
Erscheinungsjahr 2021 
Seitenzahl 58 
Anzahl Geschichten 3 und ein Essay
Original Twitter Tweet https://twitter.com/Rezensionsnerd1/status/1395664350371893248 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0