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Strafe von Ferdinand von Schirach

Harte Fakten

Titel Strafe
Autor Ferdinand von Schirach
Erscheinungsjahr 2018
Seitenzahl 192
Anzahl Kurzgeschichten 12

Kurzgeschichtensammlung

Fazit für Eilige

Ich lese in letzter Zeit viele Kurzgeschichten, auch um mich selber zu verbessern und zu schauen, wie andere das so machen.

Von Schirach besticht vor allem durch seine Ideen und seine Kenntnis der Lücken in unserem Justizsystem. Wie kann es angehen, dass Täter*innen ihren gerechten Strafen entgehen? Teilweise sogar, obwohl allen klar ist, dass sie schuldig sind.

Fast alle Geschichten sind originell, fast keine ist hundertprozentig szenisch geschrieben, was daran liegt, dass oft lange Zeitabschnitte in wenig Text zusammengefasst werden müssen. Es ist angenehm, dass die meisten Geschichten auch auf die zehnfache Länge hätten ausgebreitet werden können, aber so kondensiert sind, dass die Pointen umso besser sitzen.

Die wahre Stärke von Ferdinand von Schirach ist, dass er nicht reflektiert. Er bewertet und beurteilt nicht. Man hört seine Stimme nicht. Daher sind seine Geschichten so stark.

Es wundert sicher nicht, dass von Schirach Strafverteidiger ist. Nach eigenen Angaben schreibt er täglich vier Stunden, was bei ihm im Endeffekt eine Buchseite ergibt. Da sitzt jedes Wort.

 

Die Schöffin

Erst einmal muss ich zugeben, ich wusste gar nicht genau, was ein Schöffe oder eine Schöffin macht. Bildungslücke geschlossen. Dann frage ich mich aber: Warum geht es der Protagonistin so schlecht? Weil der Vater sie als Kind verlassen hat? Ist das nicht etwas dünn? Das verstehe ich nicht. Es gibt kaum Action und Dialoge, ganz wenig als es dann endlich vor Gericht geht. Es ist trotzdem gut geschrieben und wenigstens das letzte Drittel ist auch ganz spannend. Die Pointe reißt mich nicht vom Hocker. Diese Story hat er nicht für mich geschrieben.

 

Die falsche Seite

Der Strafverteidiger Schlesinger hat seine besten Tage hinter sich. Nach einem schicksalhaften Freispruch ging es für ihn bergab. Heute hat er Frau und Kinder verloren und ist ein Trinker. Dann bekommt er einen Fall. Eine Frau hat angeblich ihren Mann erschossen, um die Lebensversicherung von 800.000 zu kassieren. Schlesinger glaubt, den Fall gewinnen zu können.

Spannende Nebenschauplätze, guter Krimi, schöne Pointe.

 

Ein hellblauer Tag

Keine Story für stillende Mütter wie mich, hier wird ganz zu Beginn ein Kind getötet. Die Mutter wird dafür verknackt, wegen mildernder Umstände und einer instabilen Psyche nur für dreieinhalb Jahre.

Erst als sie wieder frei ist erfahren wir die Wahrheit.

Ebenfalls ein guter Krimi, hat mir gut gefallen.

 

Lydia

Ich mag es, wenn in einer Geschichte jemand vorkommt, der stottert. Mich interessiert immer, wie sie das lösen, ohne dass man beim Lesen der Dialoge die Krise bekommt. Der Protagonist hier muss allerdings nicht stottern, wenn niemand ihn hören kann.

Lydia ist übrigens keine menschliche Frau. Die Geschichte behandelt ein recht originelles Thema, da ich sonst nur aus einigen Boston-Legal-Folgen kenne. Die Gerichtsverhandlung wurde sehr authentisch und informativ beschrieben.

 

Nachbarn

Die Frau des Protagonisten ist tot. Er einsam, sieht kaum noch Sinn. Dann ziehen neuen Nachbarn ein. Die junge Nachbarin gefällt ihm. Zwar gibt es keine Romantik zwischen ihnen, aber durchaus Intimität.

Eine schöne böse kleine Kurzgeschichte. Nicht hundertprozentig nachvollziehbar, eigentlich recht krass, aber gerade noch glaubwürdig. Das wichtigste: Unterhaltsam.

 

Der kleine Mann

Strelitz ist klein, wirklich klein. Kein Erfolg bei Frauen. Dann stößt er durch Zufall auf knapp 5 Kilo Kokain. Statt wegzusehen beschließt er, diese zu verkaufen.

Die Geschichte ist in ihren Verwicklungen und dem absurden Ende lustig. Erst hat er Glück, dann Pech, dann wieder Glück. Das deutsche Rechtssystem bietet offenbar Raum für wirklich seltsame Plots. Herrlich!

 

Der Taucher

Wirklich ärgerlich, wenn der Ehemann einen Fetisch hat, den man absonderlich findet. Noch ärgerlich, wenn er dann dabei stirbt und man ihn erst aus einem Taucheranzug befreien muss. Schlimmer noch, wenn man dann des Mordes bezichtigt wird.

Diese Geschichte ist von vorne bis hinten originell und spannend. Ich war sehr begeistert von dem Ende.

 

Stinkefisch

Eine der schwächeren Geschichte dieser Sammlung, in der sonst eine unerwartete Plotwendung die andere jagt und außerdem juristische Feinheiten freigelegt werden, die mich allesamt verblüffen.

 

Das Seehaus

Hier wird das ganze Leben des Protagonisten Ascher behandelt, was beileibe nicht heißt, dass er einem sympathisch wird. Das Leben im Zeitraffer wurde gut dargestellt, die Verhandlung über die Tat ist (mal wieder) der eigentliche Höhepunkt. Wie frustrierend das Leben manchmal für deutsche Staatsanwälte sein muss.

 

Subotnik

Das ist eine harte Geschichte. Wie in diesem Band üblich wird zunächst der Werdegang der Protagonistin dargestellt, bis sie als junge Anwältin die Verteidigung eines Mannes übernimmt, der in der Zwangsprostitution tätig war. Den Höhepunkt erreicht die Story, als eine ehemalige Zwangsprostituierte aus Rumänien gegen ihn vor Gericht aussagt. Jedem steht eine Verteidigung zu. Der Konflikt zwischen Abscheu vor dem eigenen Mandanten und der Pflichterfüllung als Anwältin ist hier vor allem deswegen so gut dargestellt, weil der Autor so knapp bleibt.

 

Tennis

Fiese Rache oder Zufall? Man weiß es nicht. Die Geschichte mit der Droge "Krokodil", den aufgelösten Hustenbondons, die Codein enthalten, ist heftig.

 

Der Freund

Erscheint mir autobiografisch zu sein. Sein Freund Richard, der abstürzt, nachdem seine Frau ermordert wurde. Sehr guter, wenn auch heftiger Abschluss des Kurzgeschichtenbands. Beim Focus und Tagesspiegel ist man offenbar auch der Meinung, dass diese Geschichte zumindest in Grundzügen authentisch ist.

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