Inhalt
Mindestens 50.000 Anschläge (aber unter 99.000) und Science Fiction - das waren hier die Bedingungen.
Natürlich habe ich meine Highlights und werde mich bei der Rezension in der Hauptsache auf diese konzentrieren:
Michael Lange: Exmatrikulationen
Fenja Harbke: Samuel L.
Maximilian Wust: Geboren als Wer
Achim Stößer: Als die Sonne erlosch
Die ekelhaftesten Beschreibungen finden sich in "Der Weg des Fischers", für Details müsste ich spoilern, nur eines: Fisch esse ich heute ganz sicher nicht mehr!
Zu meinen Highlights
Michael Lange: Exmatrikulationen
Das ist mein klares Highlight. Ganz ganz klar.
Was mich am meisten beeindruckt hat: Es klingt alles so echt. Die Figuren. Die Story. Ich habe das richtig gern gelesen. Den Autor muss ich unbedingt beobachten!
Ok, einen der Twists habe ich schon früh geahnt - aber nichtsdestotrotz ist diese Story in einiger Hinsicht bemerkenswert! Die werde ich gegen Ende des Jahres erneut lesen, um zu prüfen, ob sie in meinen Top-15 landen wird. Bisher habe ich in 2022 ja erst knapp 70 Storys gelesen (meistens schafft es die deutschsprachige Szene auf 400+ Geschichten, wenn ich auch vielleicht nicht alle schaffe).
Der Ich-Erzähler ist gelungen - selbst wenn oder gerade wenn man all seinen Hintergrund beachtet, der sich nach und nach hervorschält.
Vieles steht in den Nebensätzen. Überhaupt, das ist so eine "verpasse bloß keinen Nebensatz"-Geschichte.
Moreau könnte eine Anspielung auf Wells' Erzählung sein, zumal es irgendwo die Frage "Was seid ihr für Menschen?" gibt (es hieß bei Wells glaube ich "Sind wir nicht Menschen?", aber das hätte in dieser Story nicht gut gepasst). Es gibt jede Menge Anspielungen auf unsere Zeit, z. B. "Internethändler unseres Vertrauens vom großen Fluss" und auch der Uni-Alltag ist auch stellenweise dem sehr ähnlich, was ich (vor einer ganzen Weile) erlebt habe.
Dann verbirgt der Ich-Erzähler Informationen und gibt sie erst am Ende preis.
Es gibt einige Cyberpunk-Elemente, die gruselig und gut beschrieben sind (Körperteile ersetzen, die gar nicht beschädigt sind).
Die Story ist divers. Es gibt dunkelhäutige Menschen und einiges wird nebenher erwähnt, sehr gelungen, einmal wird sogar gegendert und Gender Studies werden erwähnt.
Ich habe einiges an guten Stellen markiert, die würden aber alle zu sehr spoilern. Lese-Empfehlung!
Fenja Harbke: Samuel L.
Hier bin ich ambivalenter, aber ich habe auch viel positives anzumerken.
Die Geschichte spielt im 31. Jahrhundert. Es nutzt viel (ist aber auch kein Muss), wenn man die Kurzgeschichte
"Think like a dinosaur" kennt. Die Autorin führt diese Idee aber weiter.
Auch hier wird thematisiert, dass beim Teleport die Ursprungsperson zerstört (getötet) wird, weil es eine Person im Universum nicht zweimal geben darf. Der Anfang ist daher nicht ganz neu, dann kommt aber ein entscheidender Twist, der (zumindest für mich) die Idee innovativ weiterdenkt. Was ist, wenn sich eben viel, viel später erst herausstellt, dass es eine Person jetzt doppelt gibt?
Der Protagonist Sam wurde vor zehn Jahren teleportiert und jemand (später wird klar, wer und warum) brach das ab: Nun gibt es ihn zweimal.
Ganz interessant ist, dass sein anderes Ich auf der Erde seine Verlobte geheiratet hat und zwei Kinder bekommen hat. Etwas langweilig finde ich, dass in tausend Jahren alles quasi so ist wie heute, nur eben mit Teleportation. Immer noch Kernfamilie, heiraten, Kinder kriegen.
Sam reist zur Erde und sucht "seine Frau" auf. Natürlich streiten sie sich darüber, wer weiterleben darf (und das zieht sich etwas). Es dauert ein wenig, bis der Grundsatz, dass es jeden Menschen nur einmal geben darf, endlich hinterfragt wird. Schließlich leben beide schon zehn Jahre unabhängig voneinander und gleichzeitig.
A-Story: Wer darf überleben, der Familienvater oder der reiche Konzernmann, der viel für die Welt leistet? Welche Berufe/Positionen sind denn tatsächlich systemrelevant?
B-Story: Worin unterscheiden sich Menschen eigentlich, wann ist man gleich, wann ist man verschieden?
Die B-Story hat mir gut gefallen, auch, dass ein bekanntes SF-Thema weitergedacht wurde. Falls das schon (oft?) geschehen ist, dann habe ich die betreffenden Geschichten zumindest noch nicht gelesen.
Maximilian Wust: Geboren als Wer
Viel Licht, viel Schatten. Zuerst zum Licht:
Da kann jemand richtig gut schreiben - handwerklich einwandfrei (und damit meine ich: trifft voll meinen Geschmack).
Zumindest das erste Drittel ist so aufgebaut, dass ich geankert werde und Neugierde aufkommt. Die Idee ist gut. Der Weltenbau ist sehr gut gemacht.
Adama (ein sehr sprechender Name, ein Arzt heißt übrigens Dr. Solstein) ist hier die Hauptfigur und ihre Entstehung und Herkunft ist zunächst unklar. Außerdem auch, wo sie sich befindet. Das wird nach und nach aufgelöst und je mehr davon aufgelöst wird, desto mehr verliert für mich die Story an Fahrt, weil aus meiner Sicht Adama ein klares Ziel, eine Aufgabe fehlt. Davon kommt gegen Ende ein wenig, aber mir war es insgesamt zu wenig.
Die Denke hinter der Story ist sehr binär, was Mann und Frau betrifft und auch noch (pseudo?-)wissenschaftlich eingebunden. Ein paar Szenen sind mir arg voyeuristisch.
Mir gefällt der Schluss nicht so gut. Die Story ist aber handwerklich sehr gut. Gut aufgebaut, gut geschrieben, rein szenisch, kein Indodump, toller Weltenbau, einige sehr gute Ideen zum Hintergrund. Wäre sie anders zu Ende geführt worden, nun, dann wäre ich vermutlich restlos begeistert gewesen.
Achim Stößer: Als die Sonne erlosch
Der Autor ist nicht gerade unbekannt, mir sind sicher schon mindestens eine Handvoll Geschichten von ihm untergekommen. Ich lese ihn recht gern, weil er sich in der SF auskennt und einfach schreiben kann (manchmal wagt er auch Experimente, siehe seine Story in Am Anfang war das Bild).
Es gibt ein klares Thema (Reise zu einem neuen Planeten, "Neuerde") und eine klare Story. Ich habe auch einige sehr schöne Vergleiche gefunden (Stichwort Kirschkernspucken), die es sprachlich für mich reizvoll machen.
Mir war es ein wenig zu viel Personal für so eine kurze Erzählung, auch wenn ich natürlich einsehe, dass sich auf so einem Raumschiff viele Leute tummeln müssen.
Alle enthaltenden Geschichten
Lukas, Ronja - Von Rot zu Blau
Zaugg, Thomas - HeliosKoloss
Stößer, Achim - Als die Sonne erlosch
Wust, Maximilian - Geboren als Wer
Harbke, Fenja - Samuel L.
Obando, Susann - Amendt AT: blind point area
Fildebrandt, Ulf - Das Gleichgewicht der Städte
Lange, Michael - Exmatrikulationen
Gerigk, Frank G. - der Weg des Fischers
Kanitz, Tom - 1US
Gross, Schlomo - Der Automat
Diversität
Ja, da findet sich einiges, vor allem (aber nicht nur) in der Geschichte "Exmatrikulationen". In "1US" habe ich beispielsweise ein schwules Ehepaar entdeckt.
Harte Fakten
Titel | HeliosKoloss: Collection of New Science Fiction Stories |
herausgegeben von | Peggy Weber-Gehrke und Rico Gehrke |
Verlag | Verlag für Moderne Phantastik |
Rezensionsexemplar | Nein, die hole ich mir immer über Kindle Unlimited |
Erscheinungsjahr | 2022 |
Seitenzahl | 505 |
Anzahl Geschichten | 11 |
Original Twitter Tweet | https://twitter.com/Rezensionsnerd1/status/1510967884343914499 |
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