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En passant - Die Reisen der Sherlock Holmes herausgegeben von Sarah Lutter und Christoph Grimm

Inhalt

17 neue Fälle finden sich in diesem Buch versammelt; mit Illustrationen von Detlef Klewer.

 

Mit Geschichten von:

Jürgen Bärbig * Richard Fliegerbauer * Christoph Heiden * Regine D. Ritter * Christian Endres * M.W. Ludwig * Norbert Schäfer * Anke Elsner * Detlef Klewer * Tanja Brink * Wolfgang Kemmer * Jens Arne Klingsöhr * Kai Bößneck * Monika Grasl * Alexander Klymchuk * Sarah Lutter * Christoph Grimm

 

Mehr zum Buch hier und hier eine vollständige Liste der Kurzgeschichten.

 

Wir unterhalten uns auch im Podcast darüber

 

In dieser Rezension sind nicht alle Story besprochen, ich habe eine Auswahl getroffen. 

Rezension

 Der Einstieg in die Anthologie ist gelungen, Die besorgte Lady von Christoph Heiden spielt in einem Zug und ich mochte sehr das entscheidende Indiz, mittels dessen Holmes den Fall letztendlich löst. Schöne Idee, habe ich nicht kommen sehen. Offenbar ist Heiden ein erfahrener Krimi-Autor, was beim Scope dieser Anthologie keineswegs schadet.

 

Der Fall von Christian Endres mit Die Frau mit dem Handschuh hat mich auf den ersten Seiten eingefangen. Ich wollte sofort wissen, ob die tote Frau auf dem Eis getötet worden ist oder es ein Selbstmord war - oder vielleicht etwas anderes? Rasch hat der Autor meine Neugier geweckt, zumal er sich sprachlich auf einem mehr als angenehmen Niveau bewegt und sogar noch Anspielungen auf seine eigene Sherlock-Story-Sammlung hinkriegt, Stichwort Eschnapur. Auch Brücken zu Holmes-Fällen aus der Feder von Doyle gibt es, Stichwort Hund von Baskerville. Das Ende ist mehr als tragisch und ein wenig queer.

 

 

Regine D. Ritter erzählt aus einer ungewohnten Perspektive - nicht Watson oder Holmes, nein, es ist Inspector G. Lestrade, der hier zu Wort kommt. Coole Idee, denn so kann die Autorin eine frische Stimme erforschen und diese selbst formen. Dabei bleibt sie streng in der Zeit, was authentisch klingt und gefällt. Es ist auch witzig, weil der Inspector Watson beim "Deduzieren" beobachtet und beschreibt, was ja sonst eher Watson bei Sherlock macht. Das war eine der seltenen Krimis, in der ich die Lösung (oder den entscheidenden Teil davon) recht früh erahnt hatte, aber umso mehr Spaß hat's mir gemacht. 

 

Gin von Richard Fliegenbauer ist ein eher konventioneller Krimi, der mir ein wenig so vorkommt, als sei er aus bereits bekannten Versatzstücken zusammengepuzzelt. Woran liegt es wohl, dass ich beim Lesen des einen Krimis den Eindruck habe, eine neue Geschichte präsentiert zu bekommen, und bei einer anderen nur eine neue Kombination von bereits bekanntem? Müssten nicht alle Krimis auf ihre Weise neu, in ihren Grundelementen aber bekannt sein? Vermutlich ist es Fliegenbauer aus meiner Sicht nicht gut genug gelungen, eine eigene Note hineinzubringen, wie es beispielsweise Endres, Ritter und auch Heiden getan haben.

Schönes Detail mit dem Rosenduft - aber auch das hätte man aus meiner Sicht besser und prägnanter umsetzen können.

 

Die zweite Begegnung von M. W. Ludwig ist sprachlich und stilistisch einwandfrei, voller gelungener Details. Der Plot an sich ist etwas zu stark konstruiert und die kurze Story wirkt etwas arg vollgestopft. Dafür kann ich als Leserin gut mitraten, wer der Mörder ist (wenn auch vielleicht etwas zu gut) und da jede Anspielung und jedes Nebengleis wieder aufgenommen wird, wirkt die Story am Ende sehr rund. 

 

Der weiße König von Norbert hatte nun einen Wettbewerbsvorteil, denn ich habe ihn nicht nur gelesen, ich habe ihm dem ältesten Kind vorgelesen. Erstens kriege ich dann natürlich selbst mehr mit (Speed-Reading fällt aus!) und zweitens habe ich dann jemand anderen vor mir, dessen Reaktionen ich beobachten kann. Nicht überraschend, ist mir dabei aufgefallen, wie viel Wissen bei den Holmes-Storys vorausgesetzt wird. Der Name der Haushälterin wird nicht erklärt, was die Baker Street ist, muss man auch wissen. Was für eine Art Doktor Watson ist, ergibt sich irgendwann, aber doch recht spät für jemanden, der noch nie von den beiden gehört hat. Unser Kind hat dem Autor ein hohes Lob ausgesprochen: Seine Story war bald interessanter als das Gewitter. Ich habe den Tathergang zum perfekten Zeitpunkt erraten, nämlich während der klassischen "Enthüllungsrunde" am Ende. Unser Kind hatte keine Chance, weil es sein erster Krimi war und ihm ein wichtiges Stück Lebenswissen über Versicherungen dafür fehlte.

Sprachlich sehr angenehm, ließ sich gut vorlesen. Professionell und geschliffen. Hat mir gut gefallen. Vom Plot her vermutlich die bisher beste Story und sprachlich auf dem Niveau von Christian Endres, vielleicht sogar besser, da phrasen-freier.

 

Ebenfalls Spaß gemacht hätte unserem Kind Detlef Klewers Das geschlossene Zimmer, das ich aber gemeinerweise alleine gelesen habe. Ein klassischer Plot für eine Holmes-Geschichte mit zwei oder drei schicken Ideen und das alles in neun Leseminuten? Ich bin beeindruckt.

 

Die Kurzgeschichte von Monika Grasl hat mir zwar in der Auflösung weniger gut gefallen, aber der Weg dorthin war sehr spannend. Holmes als Charakter erschien mir auch gut ausgeleuchtet. Ich hätte bei der Lektüre des kurzen Texts ungern unterbrochen, da mich wirklich interessiert hat, warum jemand lauter blonde, gut genährte (aber nicht übergewichtige) Menschen im Hafen ermordet.

 

Mord in Sachsenhausen von Sarah Lutter fügt sich schön in das Holmes-Universum ein (Moriarty, Mycraft), dafür gibt es keinen Watson, der Meister erzählt selbst. Die Story bietet überraschenderweise einiges an Lokalkolorit, und zwar NICHT in London, sondern in Frankfurt. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal so viel über Ebbelwoi lernen würde. Hier wird ein Mann vermisst und an einem ungewöhnlichen Ort wieder aufgefunden. Das Rätsel ist nicht (nur) das Wer, sondern auch das Wie.

 

Im Klang von g-Moll von Chris Grimm gelingt es, Spannung und Interesse zu erzeugen, wird aber etwas mit Figurenfülle überfrachtet. Ich verstehe das bei Kurzkrimis, gäbe es neben Holmes, Watson und den Polizisten nur das Opfer und ein oder zwei weitere Personen, müsste man nicht lange nach dem Täter suchen.  Charmant ist, dass hier Mrs Hudson in Verdacht gerät, was Watson deutlich mehr erschüttert als Holmes. Natürlich! 

Fazit

Vor allem sprachlich herausragend, aber auch eine beeindruckende Anzahl sehr guter Kurzkrimis. 

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Kommentare: 2
  • #1

    Aleshanee (Mittwoch, 19 Juli 2023 06:43)

    Schönen guten Morgen!

    Ich mag ja Adaptionen Holmes sehr gerne und die Anthologie hört sich wirklich vielfältig und spannend an. Die werd ich mir mal auf meine Wunschliste packen.
    Danke für die Vorstellung :)

    Liebste Grüße, Aleshanee

  • #2

    Norbert (Dienstag, 10 Oktober 2023 18:23)

    Liebe Yvonne,
    Ich kam erst jetzt dazu, die Rezi zu lesen. Bin gerührt. Vielen lieben Dank für die warmen Worte und beste Grüße an deinen „Ältesten“ �