· 

The Valancourt Book of World Horror Stories, Volume 1 - Perlensuche international

Ich lese gern auch mal Horror, um mich von der SF zu erholen. Kürzlich wurde mir diese Anthologie empfohlen, die ich nach und nach durchgeschmökert habe. Nicht alles hat mir gefallen, dafür gab es aber ein paar Highlights, die ich gern etwas näher beleuchten möchte: Warum haben mir die so gut gefallen und was war daran so besonders?

 

Dazu nehme ich mal meine vier Lieblinge und beleuchte die etwas näher, anstatt mich durch die zahlreichen Storys zu wühlen. Zumal meine Lektüre schon ein paar Wochen her ist und ich nun rückblickend besser sagen kann, was mir nachhaltig in Erinnerung geblieben ist.

 

Posting zur Rezension

Attila Veres: The Time remaining (Ungarn)

Das war auf jeden Fall DAS Highlight für mich. Der Autor ist von 1985 und der ungarischen Allgemeinheit etwa seit 2017 bekannt (erster Roman erschienen). 

 

Die Geschichte wird von einem erwachsenen Ich-Erzähler geschildert, rückblickend, die Handlung bezieht sich auf seine Kindheit. Das wichtigste kommt gleich im ersten Satz, offenbar ist jemand namens Vili gestorben. Wie sich später herausstellt, ist Vili ein Kuscheltier (plush toy). Geschenkt von der Oma, die bald daraufhin starb, doch das wurde dem Jungen so nicht gesagt, seine Eltern taten lange so, als sei sie ausgewandert, um seine Trauer zu vermeiden, etwas, das ich als Leserin sofort bemerke, der Junge aber nicht. 

 

In dieser phantastischen Welt können Plüschtiere krank werden und sterben. Sie sind auch so etwas wie lebendig. In dieser Szene untersucht der Junge sein Spielzeug:

"Vili's body temperature seemed just fine. I searched and searched, and I could feel that Vili was avoiding my gaze, just as I was avoiding his. In that moment he became actually naked, not for his lack of clothing - he became naked because my fingers were searching for the end of his life.

I finally found the first rupture in his armpit. Thre thread had started to loosen, allowing Vili's insides to be seen through a small hole, the white stuffing that was his blood, his flesh."

 

Es liest sich nicht so, als sei es die Phantasie eines Kindes (meine Puppen waren durchaus auch mal krank, sind aber nie gestorben), ich nehme das als Wahrheit dieser Welt. Sein geliebtes Kuscheltier stirbt. Zunächst kann er noch Maßnahmen ergreifen, um das zu verzögern, die auch sehr gruselig geschildert werden, da Vili durchaus leidet und auch weint. 

Er hat eine Kinder-Gang und dort hat ein Mädchen, Ferkó, ebenfalls ein krankes Spielzeug.

 

Die ganze Geschichte behandelt das Thema Trauer, Krankheit und Tod. Das Sterben und das Leiden des Spielzeugs Vili und der Umgang des Erzählers damit, wie er sich sorgt, das Spielzeug nicht alleine lässt, bis zum Ende bei ihm bleibt - das alles steht in starkem Kontrast zu dem Verhalten der Mutter dem Sterben ihrer eigenen Mutter gegenüber. Meiner Auffassung nach verhält sie sich auf die schändlichste aller Weisen: Sie lässt ihre Mutter alleine. 

Der Vater erzählt seinem Sohn das später, Es bleibt unklar, ob es sich nur auf die letzten Stunden, Tage oder gar Wochen bezieht, aber Tatsache ist: Die Mutter ist vor dem Sterben ihrer eigenen Mutter geflohen, hat sich dem entzogen und danach auch noch gelogen über das, was geschehen ist. 

 

Der Erzähler hingegen geht recht extreme Wege, um Vili zu retten und zögert es damit nur heraus. Die Ideen dazu fand ich sehr originell und verdammt gut geschildert. Die phantasievolle Spielzeug-Welt kann ich auch nur bewundern:

"The boys complained that the scattered filling was infecting their other toys with sickness - the wheels detached from their Matchbox cars, their plastic soldiers fell apart, and their LEGO pieces didn't fit together anymore."

 

Es ist aber absolut kind-ungeeignet, nicht mal zum Nacherzählen für taffe Kinder, die sonst gern Neil Gaiman lesen:

"My eyes, Vili shouted at me. Where are my eyes?"

"He was only a sick, demented plush toy. He didn't mean to hurt me, not consciously at least. Not yet."

 

Richtig gut fand ich folgenden Satz: "a poor child who could only afford dead toys". Ähm, ja, so wie in unserer Welt?

 

Der Schluss war wirklich gut, sehr klassischer Horror, aber genau richtig und irgendwie ... fair. Auch wenn ich jetzt dabei sicher böse klinge.

 

Eine tolle Horror-Story, eine der besten, die ich in diesem Leben gelesen habe. Bitte werde berühmt und viel übersetzt!

 

Ah - super, das Otherland bewirbt gerade tatsächlich eine Übersetzung des Autors - her mit meinem Geldbeutel.

Flore Hazoumé: Menopause (Frankreich /Elfenbeinküste)

Deutlich deutlich weniger beeindruckend als die vorherige Geschichte, aber immer noch bemerkenswert. Mehr eine Hirn-Story als eine Herz-Story. 

Ich mag es, wenn die Menopause thematisiert wird, die Idee für diese Story ist witzig und ich rate sie genau im richtigen Moment. 

 

Der Horror-Aspekt ist recht klein, zunächst dachte ich, es geht nur um den Horror des Altwerdens und des Sich-Veränderns, die Hauptfigur verändert sich auch durchaus, aber deutlich extremer als zunächst angenommen. Und zwar durchaus nicht in ein Monster. Nun, wie man's nimmt ... das wird jetzt nur witzig sein für Menschen, die die Geschichte gelesen haben. 

Solange Rodríguez Pappe: Tiny Women (Ecuador)

Die Erzählerin nimmt eine Schachtel mit Krimskrams aus ihrem Elternhaus (die inzwischen in einem Retirement Home wohnen) nach Hause und zack, winzige lebendige Frauen machen es sich in ihrer Wohnung gemütlich.

 

Die Story lebt von der Verbindung der phantastischen und der realistischen Slice-of-Life-Details. Echte Menschen und ungewöhnliche Situationen. Die Frauen sehen auch alle jung und gut aus, keine Kinder, keine Schwangeren, keine Alten. 

 

Nach zwei Seiten ist die Geschichte zu Ende und der Horror bleibt zum Glück relativ subtil, nicht zu klar, aber die Bedrohung durch die winzigen Frauen bleibt spürbar. Es wird auch nichts erklärt, nichts aufgelöst, ein kleines Spotlight auf einige authentische Figuren und eine ungewöhnliche, neugierige und dennoch gefährliche Kolonie phantastischer Wesen und dann ist es auch schon wieder vorbei.

 

Twitter

Lars Ahn: Donation (Dänemark)

Die Situation kann ich absolut nachvollziehen. Ein Ehepaar, es klingelt. Ein kleiner Junge steht vor der Tür. Er sammelt Geld für einen guten Zweck. Das Paar spendet, der Junge muss mal. Er bleibt verdächtig lange weg, dann sitzt er plötzlich im Wohnzimmer und will nicht gehen, will mit ihnen essen.

Der Horror ist total glaubwürdig - was tut man mit einem fremden Kind, das zu allem bereit ist, nur nicht dazu, das Haus wieder zu verlassen? Der Konflikt ist gerade deswegen besorgniserregend, weil er zunächst ohne phantastische Komponenten auskommt. Plus, mir nicht ganz unbekannt ist, wenn man auf dem Dorf wohnt, hat man öfter mal fremde Kinder im Haus, die nicht wieder gehen wollen. Nur weiß man normalerweise, wo deren Eltern wohnen. 

 

Richtig interessant wird es, als sich ein Streit zwischen dem Paar entbrannt zum Thema Kinder kriegen. 

Er sagt zu ihr: "You yourself have to admit that it can be a little exhausting to be with them for a long time, and you said yourself that you felt totallly worn out after we'd watched the boys for a whole weekend last time. There're great kinds, but you'd think they had Duracell batteries in their bloodstream."

 

Es ist auch schön zu sehen, dass nicht jede Story  mit Tod und Verderben endet, auch nicht in einer Horror-Anthologie.

Christien Boomsma: The Bones in her Eyes (Niederlande)

Das ist eine von den Storys, von der Art hat man in der Regel schon ein paar gelesen, wenn man Horror mag und oft liest. Ich kann ungefähr sehen, wo es hingeht. Aber die Protagonistin nicht. 

Ich will ihr zurufen: Mach das nicht!

Es ist zwar nicht so offensichtlich wie bei Gefahr die Dachbodentreppe hochzusteigen, aber dennoch. Wenn man eine Katze überfährt und die alte Frau, die den vermeintlichen Kadaver entgegen nimmt, sich so sorglos benimmt, dann stimmt irgendwas nicht und wenn die Katze dann später wieder sehr lebendig wirkt, dann bist du vielleicht überrascht, aber ich bin es nicht!

Doch es geschieht noch einiges mehr und es ist gut geschrieben, die Figuren wirken sehr aus dem Leben gegriffen und es ist sprachlich mehr als nur angenehm. 

 

Sie hat ja nur Mitgefühl, das sagt sie über die alte Frau später zu ihrem Partner:

"She used to play games with him [husband]. But now his Parkinson's is so bad that he always knocks the pieces over, she says. Is that our future? Together in a dilapidated little house on the edge of the inhabited world with a canary and a cat? And then I come along and destroy even that."

 

Das ist eine Story für "Ich hab's doch gleich gewusst" und den kleinen Schauer für zwischendurch, durchaus nice. 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0