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Gastrezension: End Of Men von Christina Sweeney-Baird

Christina Sweeney-Baird: End Of Men

Orig.: The End Of Men, 2021

Heyne, München, 07/2023, Taschenbuch, ISBN 978-3-453-32282-0

 

 

Ein junger Mann, der mit einer Grippe in die Notaufnahme einer Glasgower Klinik eingeliefert wird, bekommt innerhalb von wenigen Stunden hohes Fieber und Symptome wie bei einer Sepsis. Trotz aller ärztlichen Bemühungen stirbt er, weil kein Medikament anschlägt. Amanda, die behandelnde Ärztin erinnert sich, dass sie zwei Tage zuvor einen ähnlichen Fall hatte. Auch dieser Patient starb kurz nach der Einlieferung. Es stellt sich heraus, dass der junge Mann zur selben Zeit wegen eines verstauchten Knöchels in der Notaufnahme war. Noch am selben Tag werden weitere Männer eingeliefert, die schon zwei Tage zuvor im Krankenhaus behandelt wurden. Alle sterben. Auch ein Arzt des Krankenhauses ist unter den Opfern. Amanda informiert die Gesundheitsbehörde und bittet, sofort Maßnahmen zu ergreifen, da sie eine Epidemie befürchtet, doch ihre Warnung wird nicht ernst genommen. Innerhalb kürzester Zeit breitet sich die Krankheit über ganz Schottland und dann über die ganze Welt aus. Sie wird Männerpest genannt, da ausschließlich Männer erkranken, während Frauen nur Überträgerinnen sind. Und sie verläuft fast immer tödlich. Nur zehn Prozent der Männer sind immun.

 

Es ist ein schockierendes Szenario, das Christina Sweeney-Baird in ihrem Roman End of Men entwirft. Dabei ist der Titel in zweifacher Hinsicht wörtlich zu nehmen. Es geht um das Ende der Männer ebenso wie um das drohende Ende der Menschheit, denn wie kann die Menschheit überleben, wenn 90 Prozent aller männlichen Erwachsenen, Kinder und Babys sterben?

 

Sweeney-Baird hat den Roman vor dem Ausbruch des Corona-Virus begonnen und wurde beim Schreiben von den Ereignissen überholt. So erklärt sich, dass im Roman, dessen Handlung im Jahr 2025 beginnt, das Corona-Virus keine Erwähnung findet. Hellsichtig schildert die Autorin, wie schnell ein Virus dank globaler Vernetzung weltweite Verbreitung finden kann, wenn die kurze Zeitspanne, in der man es hätte eindämmen können, vertan wird, und wie hilflos wir einem solchen Killervirus trotz aller medizinischen Fortschritte noch immer ausgeliefert sind – wie wir es alle beim Ausbruch des Corona-Virus erfahren mussten. 

 

Wer hier einen actionreichen Wissenschaftsthriller erwartet, in dem Ärzte und Journalisten atemlos durch die Welt hetzen auf der Suche nach Patient Null und kurz vor dem Ende noch schnell die Welt retten, wird enttäuscht werden. Zwar ist die Suche nach dem Ursprung der Seuche auch ein Thema ebenso wie die Entwicklung eines Impfstoffs, aber das sind eher nebensächliche Handlungsfäden. Das eigentliche Thema des Romans ist die Frage, wie Menschen mit einer derartigen Katastrophe umgehen und was die Katastrophe mit den Menschen macht. Den Menschen, die überleben. Und das wird hochspannend erzählt.

 

Anhand zahlreicher Einzelschicksale schildert Sweeney-Baird den Verlauf der Pandemie. Da ist Amanda, die sich zu Hause mit ihren Söhnen und ihrem Mann verbarrikadiert, weil sie verhindern will, dass die Pest in ihr Haus kommt. Catherine, die sich nicht um ihren sterbenden Mann kümmern kann, weil sie ihren kleinen Sohn nicht anstecken will. Dawn, die zum britischen Inlandsgeheimdienst gehört und plötzlich Karriere macht, weil die Männer mit den besser bezahlten Stellen alle sterben. Elizabeth, die bei der amerikanischen Seuchenschutzbehörde arbeitet, und nach London geschickt wird, um bei der Erforschung des Virus zu helfen. Lisa, eine kanadische Wissenschaftlerin, die in der Suche nach einem Impfstoff die Chance ihres Lebens sieht. Rosamie, das philippinische Kindermädchen in Singapur, deren Arbeitgeber den gesamten Haushalt in seinem Luxusappartement einsperrt, obwohl er längst infiziert ist. Toby, der auf einem Kreuzfahrtschiff vor Island festsitzt, weil der Kapitän sich weigert, einen Hafen anzulaufen, obwohl allmählich die Lebensmittelvorräte zur Neige gehen. Und daneben gibt es noch eine Reihe weiterer Protagonisten. Die wenigen Männer, die immun sind, müssen damit fertig werden, überlebt zu haben. Warum ich und nicht mein Vater, Bruder, Freund? Sie müssen begreifen lernen, dass sie keine Schuld tragen, müssen damit umgehen, dass sie nun überall angestarrt werden und auffallen, weil kaum noch Männer am Leben sind. Eine kleine Episode handelt von einem schwulen Mann, der sich fragt, wie er jemals einen Partner finden soll, einfach weil es nur noch so wenige Männer gibt.

 

All diese kleinen und großen Geschichten werden in der Ich-Perspektive und im Präsens erzählt, so dass man aus nächster Nähe den verzweifelten Kampf um das Leben der Angehörigen miterlebt, den Schmerz über den Verlust, die Hilflosigkeit, die Trauer, die Wut. Familien werden zerstört, Lebensentwürfe jäh auf den Kopf gestellt. Freundschaften zerbrechen, weil eine Frau das Glück ihrer Freundin nicht ertragen kann, deren Mann immun ist und deren ihre Kinder Töchter sind, während sie selbst ihre ganze Familie verloren hat. Das geht beim Lesen oft an die Nieren, ist streckenweise zutiefst traurig. Immer wieder hofft man beim Lesen, dass doch ein kleines Wunder geschehen und ein Leben gerettet wird, aber die Erzählung bleibt in der Schilderung der Auswirkungen des Virus unerbittlich konsequent. 

 

Detailreich und klug durchdacht zeigt Sweeney-Baird aber auch die Folgen eines so ungeheuerlichen Verlusts an Menschenleben für Infrastruktur, Staat und Gesellschaft. Überall dort, wo Männer regelmäßig den Großteil des Personals stellen, kommt es zu Engpässen und Ausfällen. Güter- und Personenverkehr funktionieren nur noch stark eingeschränkt, mancherorts kommt es zu Unruhen und Chaos, weil es an (männlichen) Polizisten fehlt, um sie einzudämmen. Regime stürzen, weil es an (männlichen) Soldaten mangelt, um ihre Macht zu erhalten. Staaten schotten sich ab, Lieferketten werden unterbrochen, Lebensmittel müssen rationiert werden. 

 

Doch all diese Frauen, von denen der Roman erzählt, sind Kämpferinnen. Sie lassen das Virus nicht die Herrschaft über ihr Leben übernehmen, passen sich an, übernehmen neue Aufgaben. Trotz allem blitzt Hoffnung auf, wenn ein männlicher Säugling sich als immun erweist oder ein Mann die Krankheit überlebt. Sweeney-Baird offenbart hier eine zutiefst positive Weltsicht. Die Menschen wachsen an dieser Katastrophe, finden Lösungen, bilden Allianzen. Sie geben nicht auf, glauben daran, dass das Virus besiegt werden kann und die Verhältnisse sich zum Besseren wenden werden. 

 

End Of Men ist ein erschütterndes Buch. Ein Roman, der manchem die Schrecken der gerade erst überstandenen Corona-Pandemie wieder schmerzhaft ins Gedächtnis rufen wird. Den Verlust geliebter Menschen, das Gefühl, den Ereignissen hilflos ausgeliefert zu sein. Er zeigt aber auch das Versagen staatlicher Stellen, die Blauäugigkeit und Hilflosigkeit im Angesicht der drohenden Katastrophe. Doch Sweeney-Baird geht es nicht um Schuldzuweisungen, sondern um die Fähigkeit der Menschen, trotz allem mit der Katastrophe fertig zu werden. Das Virus bedeutet eben doch nicht das Ende der Menschheit. Und das ist ein zutiefst tröstlicher Gedanke.

 

Christine (Chris) Witt

 

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