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Wie hat er das nur gemacht? Analyse The Deluge Teil 1

Denn eines ist klar, auch Stephen Markley hat nur Worte. Wenn er mich kriegen will, wenn er mich für seine Figuren, seine Welt, seine Handlung begeistern will, wenn er mich emotional erreichen will, kann er nichts anderes nutzen als Worte.

 

Wieso also, und vor allem, wie, hat er es geschafft, mich in einigen Kapitel so dermaßen stark emotional zu erreichen?

 

Mir ist bewusst, dass es einen Unterschied macht, ob ich 900 Seiten zur Verfügung habe oder nur weniger, aber da sich sechs Perspektiven die 900 Seiten teilen mussten (abzüglich einiger anderer Kapitel), hatte eine Perspektive auch nicht mehr "Bühnenzeit" als Figuren in Romanen mit nur ein bis drei Perspektiven. Selbst wenn ich in Betracht ziehe, dass die Figuren in The Deluge sich gegenseitig in ihren Kapiteln "besuchen", also auch Auftritte in Kapiteln haben, die nicht aus ihrer Perspektive erzählt werden.

Tony rettet seine Tochter

Der Locus-Rezensent Ian Mond nannte das Kapitel, in dem Tony seine Tochter aus einer brennenden Stadt in Kalifornien rettet, "cinematic" und das stimmt auch. Es ist wie ein privater, auf meinen persönlichen Geschmack getrimmter Film, den ich in meinem Kopf sehen darf, während ich lese. 

 

Die Umstände, unter denen Tony es überhaupt in die Nähe des brennenden Teils von Kalifornien schafft, sind bemerkenswert und haben viel mit einer der anderen Perspektivfiguren (Ash) zu tun, was nice ist, da Tonys Sicht auf Ash Spaß macht. Es ist eine Art von "So sehen ihn also andere Leute?"-Erfahrung, die ich durchaus genossen habe. 

 

Die Feuerwehrleute und auch alle anderen, die ihm irgendwie bei seiner Aktion helfen könnten, sind bereits mit der Feuer-Eindämmung beschäftigt. Niemand kann ihn also dabei unterstützen, sich zur Adresse seiner Tochter durchzuschlagen (von der er vermutet, dass sie bewusstlos in ihrer Wohnung liegt, was sich später auch als zutreffend herausstellt), er ist komplett auf sich alleine gestellt. Der Ernst der Situation wird durch einen Feuerwehrmann, Magdolin, illustriert, mit dem er spricht, bevor er das gefährdete Gebiet betritt:

"Once you get there, if your kid's gone, don't dawdle. be safe. This thing is alive, angry, and a total F-E-A-R fire."

Tony smirked, sensing good jargon. "And what's that stand for?"

Magdolin spit on the concrete: "Fuck Everything and Run, of course."

 

Schön auch die Charakterisierung von Tony, en passant, der selbst Wissenschaftler ist und den Jargon anderer "Spezialprofis" genießt, selbst in einem Moment wie diesem. Das passt zu seinem Charakter. Der Autor nimmt sich in allen Szenen stets die Zeit, seinen Figuren gerecht zu werden, als hätten sie ihm selbst zugeflüstert: Hey, ich würde aber den Feuerwehrtypen fragen, wofür das steht und ich sag' dir auch, warum!

Der Autor vergisst nie, wen er da vor sich hat, über wen er da schreibt, wer da gerade agiert, und das lässt mich die ganze Show verdammt echt anfühlen. Das mag ein Buch sein, aber ich war hautnah bei einer echten Geschichte dabei.

 

Ein Hund gesellt sich zu ihm (natürlich, kommt bei mir immer gut an) und er begegnet einem Obdachlosen, dem er stark zurät, das Gebiet zu verlassen. Vergeblich, was sich auch gut trifft, denn dann kann er seine Hilfe in Anspruch nehmen, als er die Tür zur Wohnung seiner Tochter nicht auf bekommt.

 

Tony bittet den Obdachlosen, die Tür mit aufzubrechen und an dem Dialog merkt man, dass sein Helfer noch nicht wirklich im Bilde ist, in welcher Situation sie sich befinden:

"This illegal?"

"Look around, man," Tony said frantically. "There's nothing fucking illegal anymore. Now help me open the door or give that to me." He pointed madly at the crowbar. "My daughter's in there."

 

Später kommt Tony eine Nebenfigur zur Hilfe, die vorher gut eingeführt wurde, und dieser überzeugt eine Truppe Gefängnisinsassinnen, die bei der Feuerbekämpfung helfen, ihn zu begleiten.

 

"This is my fucking family," he continued, his voice cracking. "I swear to Christ if you helf me get to them, I will make you whole after this. I promise. I will make you whole."

 

Ich höre fast die Stimme, wenn ich das lese, diese Hoffnung, diese Verzweiflung, diese Dringlichkeit, die in der Wortwahl und der Wiederholung liegt. Ich kann mir richtig vorstellen, vor wildfremden Menschen zu stehen, auf dessen Hilfe ich angewiesen bin, ihnen alles zu versprechen, was in meiner Macht steht, damit sie mir helfen, um Menschen zu helfen, ihnen vermutlich das Leben zu retten, Menschen, die ich liebe.

 

Das ist ein sagenhaft spannendes, mitreißendes Kapitel, was sich eher schwieriger an einzelnen, gut abtippbaren Textstellen zeigen lässt. Mehr ist es das Gesamtpaket, die Spannung, die Rasanz, die Dringlichkeit. Ich spüre den Rauch in meinen Lungen, wenn ich das lese.

 

Bei anderen Kapiteln ist es leichter, es an einzelnen Textstellen festzumachen. Folgt bald.

 

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