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The Ministry of Time von Kaliane Bradley

Ich las lange, lange darin, bis mir klar wurde, worauf die Prämisse hinausläuft. Vorher hatte ich den Eindruck, der Roman ist thematisch ein bisschen beladen. Und das, obwohl der Pace in der ersten Hälfte nicht so hoch ist und sich die Ereignisse erst später überschlagen.

 

Die Ich-Erzählerin sagt uns nie, wie sie heißt, aber offenbar ist es ein kambodschanischer Name, der in London eher unüblich ist, denn der erste Satz geht so:

 

"The interviewer said my name, which made my thoughts clip. I don't say my name, not even in my head. She'd said it correctly, which people generally don't."

 

Es lohnt sich übrigens sehr, nach Beenden des Romans noch mal zum Anfang zurückzukehren. Ich sage euch, ihr lest es mit neuen Augen.

 

Zu Beginn des Romans steht ein Vorstellungsgespräch für einen deutlich besser bezahlten Job für die Protagonistin, sie soll als "Bridge" für einen Zeitreisenden fungieren. Er und drei andere wurden aus ihrer Zeit entfernt, durch eine Tür, deren Existenz bisher vom Ministry of Time geheim gehalten wurde und deren Existenz auch weiterhin der Öffentlichkeit verschwiegen wird. 

Die vier Zeitreisenden wären alle gestorben und wurden kurz vor ihrem Tod geholt, die Hauptfigur ist zuständig für Graham Gore, der bereits in einem Roman von Dan Simmons eine Rolle gespielt hat. 

 

Die Hauptfigur kennt sich mit dem Thema Einwanderung ein wenig aus, da ihre Mutter aus Kambodscha eingewandert ist. Das erzählende Ich geht in der Regel als weiß durch und outet sich selten. Ihre Mutter jedoch war Opfer von Alltagsrassismus, als die Hauptfigur jünger war und im Laufe des Romans erfahren wir mehr darüber. Eine Kollegin der Hauptfigur ist Schwarz, was Einfluss auf die Arbeit mit den Zeitreisenden hat. Ein Nebenthema des Romans - aber keineswegs die Prämisse! - ist, dass wir durch die Vorurteile und kulturelle Prägung unserer Zeit beeinflusst sind. Dies betrifft Sprache (und das ist das Fachgebiet der Hauptfigur, wobei dieses Thema dafür erstaunlich wenig Raum einnimmt), Gewohnheiten, Alltag, Feminismus und auch Sex. Letzteres ist erwähnenswert, da es tatsächlich zu einer außergewöhnlich gut geschilderten Sexszene kommt und eine Schilderung auch nicht (wie sonst fast immer) unnötig ist, sondern zur Figurentiefe beiträgt, denn auch das Verhalten in dieser intimen Situation ist deutlich durch die Zeit geprägt, aus der diese Figuren stammen.

 

Während Othering ein interessantes Nebenthema ist, fremd an einem Ort oder in einer Zeit sein, Rassismus oder auch Queerfeindlichkeit, und das auch alles ausreichend viel Raum im Roman einnimmt, um für mich einige Türen zu öffnen, geht es aber um etwas anderes:

 

Geschichte bzw. die Geschichten aus der Historie. Graham Gore hat 170 Jahre Weltgeschichte verpasst. Der Roman zeigt durch seinen bemerkenswert gut konstruierten Plot auf, inwiefern sein Charakter und sein Verhalten beeinflusst werden, je nachdem, welche Geschichte er erfährt, und welche nicht.

 

Als Beispiele werden hier Ausschwitz und 9/11 gewählt. Beschäftigt sich jemand, für den beide Geschichten völlig neu sind, mit einem gesunden Menschenverstand in aller Tiefe mit entweder dem Holocaust oder dem Terrorismus, führt das direkt danach zu komplett anderen Entscheidungen. Mehr zu verraten würde spoilern, aber hier öffnet der Roman geschickt einige Türen, die absolut überzeugend sind. Was erzähle ich wem und wann? Und wie?

 

Der Roman unterstreicht, dass unsere Taten beeinflusst werden von dem, was wir über menschliche Abgründe erfahren. Als jemand, der gerade mit dafür verantwortlich ist, zwei junge Kinder zu erziehen, die vieles von unserer Welt noch nicht wissen, hat mich das nachhaltig erschüttert und überzeugt.

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