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Willkommen in Wellville von T. C. Boyle

Harte Fakten

Titel Willkommen in Wellville
Autor T. C. Boyle
Erscheinungsjahr 1994
Seitenzahl 552

Inhalt

"Willkommen in Wellville!" sagt der Protagonist Will Lightbody zu Dr. John Harvey Kellog und begeht damit einen Faux Pax. Das ist, als würde ich zu meiner Bausparkasse gehen und sagen "Wir geben Ihrer Zukunft ein Zuhause" und ich befinde mich aber keineswegs in einer LBS-Filiale.

"Willkommen in Wellville!" ist der Slogan eines Konkurrenten von Kellog und er selber verabscheut Slogans und hat keine.

 

Das Ehepaar Eleonore und Will ist krank und bucht daher einen langen Aufenthalt im Sanatorium, dem "San" von Dr. Kellog. Was genau Eleonore fehlt, wird mir nicht klar, ich würde eher sagen, dass es etwas psychisches ist, immerhin hat sie gerade ihr Baby kurz nach der Geburt verloren. Will hat etwas mit dem Magen - oder auch mit dem Darm - er verträgt fast nichts. Welche Krankheit ihn tatsächlich quält erfahre ich erst im Epilog.

 

Weiters zu den Protagonisten gehört Dr. Kellog selber, der 42 (!) Kinder adoptiert hat, von denen eines, Georg, mittlerweile erwachsen, ihm immer wieder Schwierigkeiten macht.

 

Dann gibt es da noch Charlie, der nach Battle Creek gekommen ist, um mit dem ominösen Bender eine Frühstücksflockenfirma zu gründen. Charlie spielt lieder nur einen Nebenrolle, obwohl sein Schicksal mich am meisten interessierte - und er ist außerdem der einzige, der normale Sachen isst und ganz offensichtlich nicht krank ist.

 

Was mich an dem Roman wahnsinnig macht, ist das Setting. Fünfhundert Seiten in einem Sanatorium von vor mehr als hundert Jahren zu verbringen macht mir irgendwie keinen Spaß. Ich kriege fast Lust, mich mit Steaks und hartem Alkohol vollzustopfen, nur als Gegengift zu dem, was sie dort im Sanatorium essen müssen. Dabei bin ich eigentlich durchaus für gesunde Ernährung zu haben. In diesem Leben zweitweise auch recht absolut - ich habe "How not to die" von Michael Greger mit Begeisterung gelesen, außerdem John Robbins und noch ein paar andere Gesundheitsbücher sowie Bücher über Veganismus, die oftmals auf dem Gesundheitsaspekt dieser Ernährung fokussierten. Daher kann ich die Aussage des Buchs, dass Fleisch nicht gesund ist, durchaus nachvollziehen. Mir erscheint es nur etwas übertrieben - ist Will Lightbody zu Beginn des Romans nicht viel zu krank, als dass es nur an seiner Ernährung liegen könnte? (Später stellt sich ja heraus, was mit ihm tatsächlich los war.) Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass es gesund ist, tagelang nur Milch zu trinken. Als Dr. Kellog Will auch noch einer Darmoperation unterzieht, von der ich fast sicher bin, dass sie mehr schadet als nützt, wird mir endgültig ein wenig übel. Ja, andere Zeiten, ich weiß. Aber das zu lesen macht mir irgendwie wenig Spaß.

 

Außerdem sind die Charaktere nur bedingt sympathisch. Mit Will und Charlie fühle ich noch zeitweise mit, mit Charlie mehr als mit Will, aber der spielt leider nicht die Hauptrolle. Kellog kann ich nur am Anfang leiden und Eleanor, in dessen Haut ich erst im letzten Drittel des Romans ab und zu schlüpfe, wird nur am Rande nachvollziehbar, quasi nur auf einer halben Seite, ansonsten bleibt sie mir fremd.

 

So habe ich also gut fünfhundert Seiten mit Figuren verbracht, die mir nicht so recht ans Herz wachsen in einer Umgebung, die ich fast schon ekelhaft finde. Das sagt doch einiges über das schriftstellerische Können dieses Autors aus, oder? Hätte er literarisch weniger drauf, ich hätte sicher schon nach unter hundert Seiten das Handtuch geworfen.

 

Boyle ist sicherlich empfehlenswert, mit diesem Buch würde ich aber nicht unbedingt starten - dann schon eher mit den Kurzgeschichten in "Sind wir nicht Menschen?". Sicher finde ich aber auch noch einen Roman von ihm, den ich bedingungslos empfehlen kann.

 

Der Epilog gefällt mir ganz gut, frei nach dem Motto: Was aus den Personen nach dem Ende des Romans wurde. In einigen Fällen ist das ja historisch belegt. Ich halte Eleanor, Will und Charlie für fiktive Figuren, aber wer weiß?

 

Dr. John Harvey Kellog gab es wirklich und abgesehen mal von den allseits bekannten Kellog's Smacks und co. (die keineswegs von ihm sind, sondern von seinem Bruder), hatte ich bereits in dem Sachbuch "Salt, Sugar, Fat" von Michael Moss von ihm gelesen. In dem kurzen Abriss im Sachbuch war er mir sympathischer - er wurde dargestellt, dass er zum Ziel hatte, dass die Menschen sich besser ernähren und erfand so die Frühstücksflocken. Seinem Bruder Will Keith Kellog war das zu wenig und er gab Zucker bei - und entwickelte so die Kellog-Produkte zu Verkaufsschlagern. Nur dass das ursprüngliche Ziel natürlich so weit verfehlt war.

 

Das Sanatorium in Battle Creek hat es tatsächlich gegeben. Die im Buch beschriebenen Methoden waren dort tatsächlich üblich. Auch gegen Sex hatte man dort tatsächlich etwas.

 

Über den Autor

Von T. C. Boyle (*1948 in Peekshill im Staat New York) kannte ich bisher nur Kurzgeschichten. Einige waren genial, andere routiniert, einige langweilig. Dieser Roman hier rangiert eher bei den routinierten. Hätte ich vorher gewusst, was mich erwartet, ich hätte lieber etwas anderes gelesen.

Da ich aber ja nun weiß, dass es bei Boyle auch anders geht, habe ich mir für die nächste Boyle-Lektüre "Wassermusik" und "Talk, Talk" empfehlen lassen. Vermutlich lese ich zuerst "Talk, Talk", da gibt es eine gehörlose Protagonistin. Das lese ich dann irgendwann in 2021.

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