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Billy Summers von Stephen King

Inhalt

Billy Summers, ein Auftragskiller und Irakkrieg-Veteran Anfang 40, macht sich bereit für seinen letzten Coup. Hierfür ist allerdings einiges an Wartezeit notwendig und er hat Grund zu der Annahme, dass er nach erfolgtem Auftragsmord selber beseitigt werden soll.

 

Wer, außer King, könnte mir einen Berufskiller sympathisch machen, der schon siebzehn Aufträge erfolgreich erledigt hat?

 

Ich komme nicht einmal dahinter, wie er das macht, denn Billy ist mir schon sympathisch, bevor ich von seinen Kindheitserlebnissen erfahre, die mich endgültig seine beste Freundin werden lassen. Der Protagonist gibt sich einfältig, vor allem zu Beginn, zu seinen Auftraggebern, ist aber in Wahrheit ein sehr gebildeter und auch intelligenter Mann. 

 

Der Plot ist keineswegs vorhersehbar. Ich hatte mich auf eine lange Wartezeit gefasst gemacht und geglaubt, ich würde genau wissen, worum es im Showdown gehen wird. Nichts da. Die Handlung schreitet rascher voran als ich dachte und schon nach einigen Stunden habe ich keine Ahnung mehr, worauf das alles hinauslaufen wird.

 

Einige der Details sind sehr einprägsam, zum Beispiel das Umgehen mit Panikattacken mithilfe eines Waschlappens und dem Singen von "Ein Männlein steht im Walde". Das könnte so tatsächlich funktionieren und das werde ich mir merken, konkrete Lebenstipps.

 

Content Notice

Es wird der recht brutale Mord an einem achtjährigen Mädchen geschildert.

Plus, es geht in Rückblenden um Kriegserlebnisse im Irak, die ebenfalls teilweise sehr krass sind mit schwerwiegenden Verletzungen und ziemlich gruseligen Sterbe-Szenen.

Außerdem - und das überrascht mich sehr - werden sehr detailliert die Nachwirkungen einer Vergewaltigung beschrieben und gezeigt, inklusive der Verletzungen im privaten Bereich. So etwas habe ich bisher bei King nie in dieser Ausführlichkeit gelesen. Es wird detailliert beschrieben, wie Vagina, Damm und Hinterteil nach der Vergewaltigung aussehen. Mir war das selber ein bisschen zu viel.

Andererseits muss ich zugeben, dass ich die psychischen Nachwirkungen einer solchen Tat (Panik-Attacken, das Bedürfnis, das Leben auf Pause zu stellen) sehr überzeugend fand. 

 

Rezeption

Vielleicht gibt es diesmal ein bisschen mehr Schatten als Licht. In der Rezension im Rolling Stone (aber Vorsicht, die spoilert etwas, mir wäre das schon zu viel gewesen) werden vor allem zwei Dinge kritisiert:

Hier wird mal wieder eine Frau von einem Mann gerettet. Das wäre bei King in den letzten zwanzig Jahren öfter mal vorgekommen. Beispiele werden nicht genannt, aber ich will das jetzt mal nicht anzweifeln, auch wenn jene Beispiele, die mir einfallen, älteren Datums sind. 

Die Frau wächst - aber mithilfe eines Mannes. Nicht aus eigener Kraft. 

Ich habe das nicht so gelesen. 

Ja, ursprünglich wird sie aus einer gefährlichen Situation gerettet, das ist unbestritten. Aber wächst sie danach nicht doch eher aus eigener Kraft? Unterstützt sie nicht ihn, baut sie nicht ihn ähnlich auf wie er sie, auch wenn sie es natürlich ist, die Panikattacken hat, für die er Bewältigungsstrategien liefern kann? Ja, er ist ein Mann, aber er ist auch der, der diese Panikattacken bereits kennt und aufgrund seiner Lebenserfahrung (er ist 44, sie ist 21) helfen kann. 

 

Das zweite, was die FAZ kritisiert, ist, dass King sehr gegen Trump und co. hetzt und dass das in der Prosa in dieser Dichte nichts verloren hat. Nun ja. Das kam bei mir erst in den letzten Hörstunden, vorher fand ich die Portionen noch sehr moderat. King wird in der Tat ziemlich politisch und das kann schon mal zu viel werden. Ich kann seine Hintergründe dafür verstehen, aber vielleicht sollte er das besser auf seinen Twitter-Account und co. beschränken.

 

Das sind aber nicht die Probleme, die ich beim Hören hatte. Zu denen unten bei "Kleiner Spoiler".

Übrigens glaube ich, dass der nächste Roman von King ein Corona-Thema behandeln wird. Er hat es schon bei Billy Summers ständig angedeutet.

 

Anspielungen auf andere King-Romane

Das Overlook-Hotel - bzw, das, was davon übrig ist - kommt vor und wir erfahren, dass es dort immer noch spukt (Shining).

Boulder wird erwähnt (The Stand), wobei im Unterschied zur Shining-Anspielung "Billy Summers" nicht in demselben Universum spielt, hier gab es keine Supergrippe.

Die kurzen Szenen um das Overlook-Hotel sind zugleich die einzigen übernatürlichen, ansonsten gibt es in dem Roman keine phantastischen Elemente.

 

Sprecher David Nathan

Normalerweise einer meiner Lieblings-Sprecher. Hier hat er allerdings mit einer Sache meiner Ansicht nach daneben gegriffen. 

Billy tut so, als sei er einfach gestrickt. Als er beginnt, seine Memoiren zu schreiben, macht er dies zunächst so, als ob sein IQ und seine Bildung tatsächlich niedrig wären, auch, um eventuelle Beobachter zu täuschen. 

Beim Lesen dieser Romanauszüge wäre es also unter Umständen angebracht gewesen, diese im Forrest-Gump-Stil zu lesen ("Meine Name ist Forrest. Forrest Gump" - ohne beim "Gump" die Stimme zu senken, wie man es am Satzende sonst zu machen pflegt).

Nathan zieht das aber durch den gesamten Roman. Übrigens nicht nur, wenn Billy spricht. Das nervt. Es kommt einfach wieder und immer wieder - da freue ich mich schon auf das nächste Hörbuch gelesen von Nathan, in dem er das hoffentlich wieder sein lassen wird. 

 

 

Kleiner Spoiler

Frei nach "Save the Cat! writes a novel" habe ich Ausschau gehalten nach der A Story (vordergründige Story) und der B Story (der eigentlichen Story, die in der Regel auch eine Entwicklung des Charakters enthält.

Dabei merke ich, dass mir die A Story nach einer Weile nicht mehr gefällt, die B Story aber schon - auch wenn ich eine andere B Story erwartet hätte.

Die A Story: Auftragsmörder erhält seinen letzten Auftrag, flieht danach, weil er ahnt, dass er danach beseitigt werden will und recherchiert im Anschluss die Hintergründe des Auftrags die in dem Mord an den Strippenzieher im Hintergrund enden - hat mir nicht gefallen. 

Dieser "Oberbösewicht" ist außerdem ein Pädophiler, was ich ziemlich billig finde. Ja, das ist eine sichere Nummer: Pädophile werden von allen gehasst. Hatte nicht gerade King immer ambivalente Bösewichter drauf?

Die Prämisse der A Story scheint zu sein: die Todesstrafe (das Ermorden) von Menschen ist ok, sofern sie böse Menschen sind. Eine Ambivalenz wird hinsichtlich der ermordeten Personen nicht thematisiert, höchstens in Bezug auf Billy.

 

Als B Story hatte ich eigentlich erwartet, dass Billy lernt, dass Menschen nicht einfach in "gut und böse" einzuteilen sind. 

Stattdessen kommt etwas anderes, so dass ich es fast nicht gemerkt hätte: Billy ist seit dem Mord an seiner jüngeren Schwester, spätestens jedoch seit seiner Zeit im Irak ein Einzelgänger. Keine längeren Beziehungen, keine Freundschaften. Selbst den Mann, der ihm am nächsten steht (ein Mittelsmann in New York, der später noch wichtig wird), kennt er kaum und hat ihn seit Jahren nicht gesehen. Die meisten Menschen, mit denen er zu tun hat, halten ihn für einen sehr einfach gestrickten Menschen, da er sein wahres Gesicht selten zeigt.

Im Laufe des Romans lässt sich Billy aber wieder auf Menschen ein. Zunächst im Kleinen, während er auf die Durchführung seines Auftrags wartet. Mit den Nachbarn und den Kindern der Nachbarn beim Monopoly. Dann, in verstärktem Maße, mit Alice, mit der er sich ab circa der Hälfte des Romans zusammentut und die er laut eigenen Angaben sogar liebt (wenn auch nicht vordergründig sexuell). Er lässt sich auf Beziehungen ein. Das ist die Wandlung, die er durchmacht und dieser Aspekt hat mir gut gefallen. Ohne die B Story hätte ich den Roman nicht ertragen, da die A Story immer fürchterlicher wird.  

Harte Fakten

Titel Billy Summers 
geschrieben von Stephen King 
übersetzt von Bernhard Kleinschmidt
Erscheinungsjahr 2021 
Seitenzahl 720 
Länge Hörbuch 19 Std 32 
eingesprochen von David Nathan 
Original Twitter Tweet https://twitter.com/Rezensionsnerd1/status/1430797580192129024 

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