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Future Work - Die Arbeit von übermorgen: 15 Kurzgeschichten aus der Zukunft (HG: Lars Schmeink und Ralf H. Schneider)

Inhalt

Kostenloser Download - Print gibt es aber gegen Bezahlung auch. Auf der Homepage gibt es auch mehr Informationen zu den Autor:innen. Hier kann das PDF kostenlos herunterladen.

 

Fazit für Eilige

Die Ausbeute guter Geschichten ist in dieser Anthologie übrigens angenehm hoch - kann ich nur weiterempfehlen!

 

Ein Wort zur Vorsicht: Die Vorworte und die Überblicke über die Szenarien sagen auch etwas über die Kurzgeschichten aus, das ggf. schon einiges vorwegnimmt. Ich habe das übersprungen, aus Angst vor Spoilern. Ich wollte frisch und unvoreingenommen an die Geschichten herangehen. Manchmal habe ich dann nachträglich nachgelesen, was die Herausgeber:innen über die Geschichten zu sagen haben.

 

Jol Rosenberg hat ebenfalls eine Rezension verfasst, die auf die einzelnen Stories eingeht.

 

Zu den fünfzehn Kurzgeschichten:

 

Hand, Herz und Hose von Theresa Hannig

Figuren, Weltenbau, Plot, Prämisse - hat mir sehr gut gefallen. Ich konnte mit der Hauptfigur mitfühlen, fand den Weltenbau einleuchtend und eine gute weitergedachte mögliche Zukunft. Die Nebenfigur war ebenfalls überzeugend und das Zusammenspiel der beiden hat mir zugesagt.

Hand, Herz und Hose, das bezieht sich auf jene Jobs, die noch menschliches Personal benötigen. Herz wie Psychotherapie, Kinderbetreuung, Altenpflege, Hose wie für Prostitution und Hand, für manuelle Arbeiten, die nicht gut automatisiert werden können. 

Das barg selbst in dieser Kürze einiges an Platz für originelle und ebenso erschreckende wie einleuchtende Ideen. Guter Auftakt für den Band!

 

Die Moralische Instanz von Heidrun Jänchen

Die Story setzt bzgl. der Qualität sogar noch einen drauf. Während der ersten Hälfte habe ich sogar gedacht, dass es sich um die beste deutschsprachige Kurzgeschichte handeln könnte, die ich je gelesen habe (und ich habe ein paar hundert gelesen), das erfüllt sich dann in der zweiten Hälfte doch nicht so ganz.

Trotzdem ist sie immer noch überragend und wird mir in Erinnerung bleiben.

Eine KI kann und darf nicht entscheiden, wann die lebenserhaltenden Maßnahmen abgeschaltet werden. Dies ist der Job der Protagonistin. Diese leidet unter der Verantwortung, hat aber klare moralische Maßstäbe. Jedoch hat sie zu oft gegen die Empfehlung der KI entschieden, deren Fokus auf den finanziellen, nicht den menschlichen Aspekten liegt.

Hier ist die KI nicht per se böse, sie ist eben nur das, was sie ist: Eine Maschine. Moralisch bedenklich ist hier jemand anderes und der ist ein Mensch. Nebenbei wird eine alternative Lebensweise durch die Schwester der Protagonistin gezeigt, die sich mit dem illegalen Verkauf von Lebensmitteln ein Zusatzeinkommen finanzieren muss.

Der Schluss ist nachvollziehbar, erfüllt meine hohen Erwartungen des Anfangs jedoch nicht ganz. Außerdem ist mir einiges dann doch zu klar formuliert. 

 

Wiederverwertung von Jol Rosenberg

Klone erledigen hier die Drecksarbeit und ich gehe wohl nicht zu weit, wenn ich hier die Analogie zu Sklaven ziehe. Klone unterscheiden sich hier andeutungsweise vom Menschen, es wird aber ebenfalls gezeigt, dass Klone keineswegs gefühllos sind. Der Protagonist lernt nach einer Begegnung mit einem der Klone, umzudenken und gibt sich dadurch selbst in Gefahr. Sehr spannende Geschichte - und das in der Kürze - und, obwohl entfremdet, immer noch leider sehr aktuell und aufrüttelnd, ohne zu plakativ zu werden.

 

Der Tag, an dem der Fahrstuhl stecken blieb von Franziska Rarey

2099 gibt es kaum noch Jobs für Menschen. Der Protagonist, Elias Paleo, mag das nicht einsehen, ebensowenig wie Lina, die sich für eine Menschquote entsetzt, analog zur Frauenquote, wie wir sie in unserer Gegenwart kennen.

Die beiden lernen sich im Fahrstuhl kennen und bleiben prompt mit zwei wichtigen Persönlichkeiten stecken.

Gut geschrieben, authentische Dialoge, deprimierender Weltenbau. Hätte etwas mehr Handlung sein können.

 

Michael Edelbrock: Meer aus schwarzem Glas

Diese und die folgende Geschichte spielen in einem anderen Szenario: Postwachstum. Hier kann jede:r einen Job haben - oder auch nicht. Versorgt wird immer.

Diese Kurzgeschichte illustriert die Möglichkeiten, die so eine Welt bietet. Was sorgt dafür, dass die Menschen trotzdem noch arbeiten? Welche Motivation kann es dafür geben, wenn Geld ausscheidet? Plus, es bietet einen unerwartete Begegnung mit einer KI.

 

Sonja Hermeneit: JobXchange - ein Leben, dreißig Jobs

Das hat mir Spaß gemacht. Die arme Ich-Erzählerin arbeitet als Bibliothekarin und soll mit Ende fünfzig ihren Job wechseln - und Ärztin werden. Angeblich hält das fit im Kopf. Nun muss sie aber vier Stunden früher aufstehen.

Sowohl die zugrundeliegende Idee als auch die Story selbst haben mir gut gefallen und sind gleichermaßen unterhaltsam wie erschreckend. Denn: Da ist irgendwie etwas dran. Skills lassen sich für mehrere Berufe anwenden. Hier wird sehr überzeugend gezeigt, wie gut sich die Bibliothekarin für den Beruf als Ärztin eignet. Und, ebenfalls sehr nachvollziehbar, warum es gut ist, alle paar Jahre etwas neues zu lernen. Ich denke, ich muss meinen Job auch mal teilweise neu erfinden.

 

Glückssache von Melanie Vogltanz

Oh, das war eine harte Story mit eiskaltem Ende. Am meisten gefesselt hat mich allerdings die Szene, in der die Protagonistin einen Fast-Kauf hinnehmen muss, der noch darin gipfelt, dass ihre Ware beschädigt wird und dabei nahezu unverkäuflich wird, UND die Fast-Kundin dann auch noch eine schlechte Bewertung abgibt, was in dieser Welt UMGEHEND angezeigt wird und weitere potenzielle Kund:innen vom Kauf abhält. Sozusagen eine Lose-Lose-Lose-Situation. 

 

Flow von Annika Zinn

Die Story ist gut geschrieben und sehr gut aufgebaut. Nur: Eigentlich ist das keine Science Fiction. Derart schlechte Arbeitsbedingungen gibt es meines Wissens nach auch schon heute auf der Welt. Leider ändert sich aber nichts, nur weil jemand darüber berichtet. Niemand hindert jemanden, darüber zu berichten, weil es eh nichts ändert. Daher war der (sonst durchaus gut gemachte) Plot nicht so ganz glaubwürdig. Plus, das Ende war für mich sehr vorhersehbar.  

 

Westcorp Crunchypops von Alex Simona

Diese Story ist ein Kleinod. So viel Weltenbau, Plot und überraschende Wendung plus Pointe auf so kleinem Raum. Außerdem muss ich zugeben, dass trotz der locker dreistelligen Anzahl an Kurzgeschichten, die ich vor allem im SF-Bereich seit Sommer 2020 gelesen habe, mir diese Idee neu war. Das ist schon eine Leistung. Und die Hauptfigur wurde mir anhand ihres Dialogs mit ihrer Mutter schon höchst sympathisch gemacht.  

Nicht leicht zu finden, aber hier hat die Autorin einen Blog.

 

3,78 Lifepoints von Lena Richter

Lena ist es gelungen, richtig Horror zu erzeugen in der Welt, die in dieser Kurzgeschichte beschrieben wird. Allzu weit weg wirkt es gar nicht, die Glaubwürdigkeit macht es umso gruseliger. 

Lifepoints sind wichtig. LifePoints, die verloren oder nicht gewonnen werden, führen zur Reduktion der monatlichen Leistungen.

Gut geschildert der Horror, wenn man einen Brief zu spät liest und die Deadline für etwas sehr wichtiges bereits in der Vergangenheit liegt - Bürokratie als Monster.

Schön auch die nicht ganz so subtile Andeutung, dass sich die Ich-Erzählerin nicht mit angesprochen wird, wenn gewisse Institutionen mit dem generischen Maskulinum ggf. alle anderen auch "mit meinen", so auch Frauen. Tolle Zukunft. 

Am Ende gelingen der Autorin einige sehr unerwartete, spannende Twists und es endet ganz und gar nicht so, wie ich erwartet habe. Starke Geschichte. 

 

Sind sie Sklaven? Aus dem Leben in Kybernetien von Karlheinz Steinmüller

Hier wird alles geplant, die gesamte Produktion richtet sich nach dem Bedarf. Dann kommt es plötzlich zu einer Überproduktion, der nachgegangen werden muss.

Diese Story bietet eine neue Idee zu Pronomen, wenn ein nichtmenschliches Wesen angesprochen wird ("d-du" und "d-dich", quasi stotternd) und zeigt insgesamt eine Welt, der der ebenjene Wesen und Menschen nebeneinander existieren und welche Auswirkungen dies auf die Arbeit (oder Arebeit?) hat. Immerhin, das Kinderkriegen bleibt noch Menschen vorbehalten.

 

Nach all diesen Jahren Malte Aurich

Es gibt ein paar nette Anspielungen auf Terminator. Es geht um eine Clique Männer, die zu Schulzeiten beste Freunde waren und sich heutzutage selten sehen. Einer lebt auf dem Mars und ist Lehrer und Autor, ein anderer, John, aus dessen personaler Perspektiver berichtet wird, arbeitet mit KIs. Die Geschichte ist flüssig geschrieben, sehr dialoglastig und gut verständlich. Der Plot ist - nun - ich sage mal: nicht ganz neu. Die Art und Weise, Informationen zu vermitteln, hat mir nicht wirklich zugesagt. Ein wenig Informationen im Fließtext ist bei SF-Kurzgeschichten oft nicht zu vermeiden, doch hier gibt es auch Informationsstücke in Dialogen, die dort etwas deplatziert wirken, weil oftmals Dinge gesagt werden, die alle Anwesenden wissen und die wohl für mich als Leserin bestimmt sind. Das fand ich etwas ungeschickt. Der Schluss war ziemlich vorhersehbar. Vermutlich lese ich einfach zu viele SF-Kurzgeschichten.

Mehr zum Autor auf seiner Homepage.

 

Bad Data von Tanja Binder

Gut gefallen hat mir, dass hier eine Geschichte in einer Welt erzählt wird und sich nicht lange damit aufgehalten wird, die Welt zu beschreiben. Das erschließt sich dann schon durch die Action und die Dialoge. Die Dynamik im Showdown ist angenehm und die Pointe habe ich absolut nicht kommen sehen.  

 

Das Eden Protokoll von Christian und Judith Vogt

Auch diese Story fokussiert auf KI. Während die großen Fragen innerhalb der Geschichte wohl für die meisten SF-Leser:innen bekannt sein müssten, liegt die Unterhaltung hier für mich mehr an den kleinen Szenen: Wie zwei Figuren Schnick Schnack Schnuck spielen, um zu entscheiden, wer vorgeht (was unangenehm werden könnte). Der Aufbau der Geschichte ist interessant und erklärt sich in voller Gänze erst am gelungenen Ende.

 

Dialog im Baltikum von Alessandra Reß

Hier sitzt die Protagonistin im Zug, der sich Richtung Russland durch das Baltikum bewegt und ihr gegenüber nimmt eine junge Frau Platz, eine Unterhaltung beginnt. Die Balance zwischen Innensicht der Erzählerin und Außensicht hat mir sehr gut gefallen, es gibt einige gut beobachtete Momente und der Schluss hat mich komplett überzeugt und gibt der Geschichte eine leicht düstere Färbung. Passt hervorragend in diese Anthologie und bildet den perfekten Abschluss.  

Rezeption

Im SciFinet gibt es schon einen Thread. Da hätten wir fast eine Art Lesezirkel gemacht, aber bisher haben sich nur drei beteiligt.

Harte Fakten

Titel Future Work - Die Arbeit von übermorgen: 15 Kurzgeschichten aus der Zukunft  
herausgegeben von Lars Schmeink und Ralf H. Schneider 
Verlag KIT Scientific Publishing 
Rezensionsexemplar Kostenloser Download 
Erscheinungsjahr 2021 
Seitenzahl 206 
Anzahl Geschichten 15 
Original Twitter Tweet https://twitter.com/Rezensionsnerd1/status/1445312606206574592 

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