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Pantopia von Theresa Hannig

Inhalt

OK, Leute. Der Roman ist überragend. Er ist spannend. Und das meine ich nicht als Synonym von "interessant", wie dieses Adjektiv offenbar öfter mal benutzt wird, nein, es ist spannend im eigentlichen, ursprünglichen Sinne, es passiert etwas konkretes, dem ich gespannt folge, wie eine Vierzehnjährige, die zum ersten Mal Stephen King liest.

 

Ja, am Ende steht die Utopie (mich spoilert das erste Kapitel etwas, also kann ich das auch in der Rezension sagen.) Die eigentliche Handlung findet vor allem VORHER statt. Vor der Utopia. In unserer Welt - wenn auch leicht extrapoliert. Der Roman zeigt den Weg hin zu Pantopia, aber auch viele Details zum realisierten Pantopia undbietet ein extrem befriedigendes Romanende.

 

Vor allem sind die Figuren echt. Richtig echt. Patricia, die sich zwar aus mir nicht ganz nachvollziehbaren Gründen in ihren Chef Mikkel Seemann verliebt (na ja, wann ist so etwas schon nachvollziehbar), und dazu sehr menschliche Gedanken hat.

Der Chef mit der krebskranken Frau. Der frustrierte schwule Kollege, Henry, mit dem Patricia seit ungefähr tausend Jahren befreundet ist.  

Oder der Sohn des Chefs, der so gar keine Ahnung hat, wo sein Platz in dieser Welt ist. 

 

Die Autorin spricht hier einfach über echte Menschen, keine Pappkameraden. Mehr dazu unten im Abschnitt "Romanfiguren".

 

Sprachlich ist es auch angenehm und sehr gut zu lesen bzw. zu hören. Die Dialoge klingen gut. Jede:r hat seine eigene Stimme.

 

Nun gut, es steckt eine Menge Wut in dem Text. Und eine Menge Hoffnung. Daher finde ich, es ist schon irgendwie ein persönlicher Text. Da hat sich die Autorin offenbar getraut, einiges von sich selber einzubringen. Das kann ich nur begrüßen. Nicht nur Wut darüber, wohin die Welt sich entwickelt, sondern auch die Abspaltung von Gruppen, die eigentlich zusammengehören, wie Feministinnen und Feminist*innen. Und das, während die rechten solche Probleme nicht haben und sich  zusammenrotten. Fazit: Das ist nicht nur einfach ein Roman, die Autorin hat auch etwas zu sagen. 

 

Der Roman will irgendwohin, will etwas aussagen, ja. Aber es ist eben trotzdem ein Roman, der mich unterhält und dessen Figuren für mich interessant sind. Es reicht hier eben nicht nur, einfach das Richtige aussagen zu wollen (danke dafür!), sondern ich werde trotzdem mit einem guten Buch bedient. 

 

Für mich ist dieser Roman jetzt schon ein Highlight in unserem SF-Jahr 2022.

Romanfiguren

Zunächst einmal möchte ich es begrüßen, dass dieser Roman mit einer Handvoll Figuren auskommt und (zunächst) nur drei Perspektiven, die der KI, die von Patricia und von Henry. 

 

Statt eine ganze Batterie von Figuren und Nebenfiguren aufzustellen und mehrere, ineinander verschachtelte Plots - wie es offenbar in der deutschsprachigen SF sonst gern gemacht wird - gibt es hier genau einen Plot, der chronologisch erzählt wird mit genauso vielen Figuren, die hierfür notwendig sind. Und so erhält auch jede Figur, auch jede Nebenfigur, ein Profil und eine Geschichte, ein Gesicht und Identifikationspotenzial. Da sage ich als Leserin laut Danke.

 

Also erstmal zur KI, die ja auch zu den Figuren gehört. Witzig ist, dass die (zumindest anfangs) nicht multitaskingfähig ist und mit ihrer Rechenleistung hadert (sie erhält dann nach und nach mehr Kapazität). Wenn sie 148 Minuten mit Patricia und Henry chattet, kann sie in der Zeit nicht auf ihre anderen Aufgaben achten.

Das weicht ein wenig von der Darstellung der meisten anderen KIs ab und ich finde das gut nachvollziehbar und gut geschildert.

 

Ab Teil 3 kommen zwei Figuren dazu, die aber sorgfältig eingeführt werden:  Tom und die Antagonistin Angelika (die auch sehr nachvollziehbare Probleme mit Pantopia hat).

 

Der Roman eignet sich übrigens perfekt auch als Hörbuch.

Buchaussage

A-Story: Zwei Entwickler:innen, Patricia und Henry, entwickeln die vermutlich erste KI "Einbug", mit Bewusstsein, ein vernunftbegabtes Wesen, das sich seiner selbst bewusst ist. Um seinen Fortbestand (und ggf. den Fortbestand anderer Wesen, die ihm ähnlich sind), entwickelt die KI die Idee zu Pantopia und beginnt mit Patricias und Henrys Hilfe, die umzusetzen.

 

B-Story: Der Roman ist vielschichtig, lässt aber auch einige Leerstellen für mich zum weiterdenken. Besonders verführerisch finde ich das Nebengleis der Putzkräfte aus Polen, die sich nicht mehr ausbeuten lassen, kündigen, nach Polen zurückkehren und sich in der Nähe ihrer Familien andere Jobs suchen. Es wird gezeigt, dass der heute reale Kapitalismus es erlaubt, Menschen auszunutzen und die Entscheidungen der Menge nicht wirklich frei sind.  

Wie bin ich zu dem Buch gekommen?

Hey, ja, das musste ich einfach lesen. Ich weiß ja schon seit Oktober 2021 davon. Da war ich bei einer Lesung in Leer und habe zwei Kapitel aus dem Roman gehört.

Rezeption

Ganz offensichtlich gibt es bei einem großen Online-Buch-Anbieter schon mehr als ein Dutzend sehr positive Rezensionen. 

 

Die Literaturlounge hat ebenfalls rezensiert und deutlich mehr zum konkreten Inhalt gesagt als ich. Die Lesejury ist zufrieden. Auch bei Lovelybooks hagelt es Sterne und ausführliche positive Kritik.

 

Im Buchfeeturm war man froh, einmal mal keine Dystopie zu lesen. Und, Tatsache, Kritik an unserer Welt, wie sie jetzt ist, kann man auch ganz anders verpacken.

Über die Autorin

Eine der wenigen deutschsprachigen Autor:innen, die ich schon einmal Life erlebt habe (und sie kann irre gut vorlesen!).

 

Ansonsten schätze ich auch sehr ihre Forschung zu #Fantastische Frauen und folge ihr schon lange bei twitter.

Diversität

Die männliche Hauptfigur ist schwul. Leider ist das Umfeld nicht immer tolerant und er hat schwer mit Problemen zu tun. Sein Frust ist sehr lebensecht und in einigen Szenen ansteckend.

 

Mir ist aufgefallen, dass nicht nur das generische Maskulinum benutzt wird, sondern auch immer explizit die Frauen mitgenannt werden. Selbst beim Hören fand ich das nicht unhandlich.

Harte Fakten

Titel Pantopia 
geschrieben von Theresa Hannig 
Verlag Fischer Tor 
Rezensionsexemplar Frei-Exemplar für den DSFP (habe aber das Hörbuch selber gekauft) 
Erscheinungsjahr 2022 
Seitenzahl 464 
Länge Hörbuch 14 Std. 47 
eingesprochen von Ulrike Kapfer 
Original Twitter Tweet https://twitter.com/Rezensionsnerd1/status/1506213290661269506 
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