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Wie hat er das nur gemacht? Analyse The Deluge Teil 2

Zur Einführung bitte hier nachschlagen.

Jackie und ihre Mom: Die Lausuntersuchungen

Wir erfahren früh, dass das Verhältnis zwischen Jackie und ihrer Mom ambivalent ist. Aber die Liebe wird auch sehr plastisch gemacht, mit einem Beispiel, das ich sehr erstaunlich fand (meine eigenen Kinder hassen es, wenn ich sie nach Läusen untersuche):

 

"When a person you love hurts or angers you, think of a thing they've done that made you love them. With my mom, I would remember her "lice checks". One time I'd come home from school quite excited because they'd checked our scalps for lice, and I thought it felt wonderful. Thereafter, my mom performed lice checks on my small head whenever I requested, and the feel of her careful fingers moving through my hair, mails gently scratching at the skin of my scalp always sent shivers of pleasure through me. She'd do this while the whole family sat around the TV, her fingernails performing with love."

 

Diese Beschreibung der Liebesbeweise der Mutter gegenüber Jackie sind noch frisch im Gedächtnis, wenn wir erfahren, wie anstrengend die Mutter später wird. Und wenn wir beobachte, was Jackie unternimmt, um die Wohnung ihrer Mutter in einem überflutetem Gebiet aufzusuchen (ein Plot Movement, das dem von Tony, der seine Tochter aus dem Feuer rettet, zunächst ähnlich erscheint, aber komplett anders verläuft).

 

Diese Passage des Beschreibens, was Jackies Mom mit Jackie getan hat und wie, die Details der Beschreibung, Highlights wie "small head", um daran zu erinnern, wie klein Jackie noch war. Die Nähe zu ihrer Mutter, die Wichtigkeit dieses Menschen, als Jackie in Kind war, kommt viel besser rüber, als wenn der Autor geschrieben hätte:

"Früher war meine Mom so wichtig für mich und ich habe ihre Berührungen genossen." Das ist gar nichts. Damit kann niemand etwas anfangen, das merkt man sich auch nicht.  Aber diese Laus-Untersuchungen, das hat was. Das ist ungewöhnlich und trotzdem nachvollziehbar. Die Idee ist gut. 

Wie kam er nur darauf? Hat er selbst es genossen, wenn seine eigene Mom das getan hat, als er klein war? Doch Markley hat so viele, einfach etliche Details, in diesen Roman eingebaut, viele davon so eindeutig fern seiner eigenen Lebenswirklichkeit, das kann er nicht alles erlebt haben. 

Vieles am Schreiben mag Handwerk sein, doch ich bevorzuge Werke von Menschen, die dazu in der Lage sind, sich zum richtigen Zeitpunkt die richtige Art von Detail einfallen zu lassen, etwas, das die Szene für mich zum Leben erweckt, dass das Lese-Erlebnis für mich echt macht, so, als hätte ich dabei zugeschaut, dass jemand diese Dinge wirklich erlebt. 

Und das, mit Verlaub, kann nicht jede Autor:in.

Die alte Frau retten

Als Jackie erwachsen ist, ist das Verhältnis nicht mehr so einfach. Die Mutter braucht viel Unterstützung, meistens leistet das die Schwester von Jackie, die nicht sehr glücklich darüber ist, dass Jackie sich normalerweise davor drückt.

Hier haben wir eine Situation, in die sich viele von uns einfühlen können: Wer von den Geschwistern macht die Hauptarbeit? Aus dem Umfeld und der Familie kenne ich viele Geschichten, in denen das an einer Person hängenbleibt, meist wegen der räumlichen Nähe oder sonstigen "Gründen". 

Hier wird die Figur der Jackie sehr plastisch, da sie sich eben doch vor der Arbeit drückt, die ihre Mutter macht, selbst wenn sie dafür natürlich gute Gründe hat (und auch ihre Geschwister mit Geld kompensiert, da Jackie deutlich mehr Geld als Zeit hat).

 

Endlich besucht sie ihre Mutter eben doch und hilft, die Wohnung aufzuräumen und zu putzen. Ihre Mutter und ihre Ambivalenz wird gut an folgender Szene gezeigt:

 

"She sucked on her teeth to remove a piece of food, a disgusting sound she would have scolded me for thirty years ago. Staring down at my crossed arms, I thought about my skin: how the flesh would turn old and liver-spotted and psoriasized like hers."

 

Da steht einiges drin und das in so wenigen Sätzen. Die Änderung im Verhalten, eigentlich schon fast eine Persönlichkeitsveränderung der Mutter. Etwas, das mir persönlich viel mehr Angst macht als alternde Haut. Letzteres scheint aber auch für Jackie einen gewissen Grusel zu bergen und macht sie mir eher fremd als dass sie sie mir nahe bringt. Es trägt aber zur Plausibilität der Figur Jackie bei, die eben nicht perfekt ist, weder in ihrem Handeln, noch in ihren Gedanken und da ich sehr viel über sie weiß und sie durch viele Szenen begleitet habe (das ist immerhin bereits die Mitte des Buchs), bin ich auch bereit, einiges zu verzeihen und in den größeren Kontext zu setzen.

 

Dann kommt es zu einer der Schlüsselszenen des Romans, als Jackie sich aufmacht, ihre Mutter aus ihrer Wohnung zu holen, da das Gebiet droht, überflutet zu werden. 

Horror, Ekel und Authentizität

Markley ist kein Horror-Autor, aber würde er sich darin versuchen, ich gäbe ihm eine faire Chance.

 

Jackie kommt schließlich in der Wohnung ihrer Mutter an und findet sie zunächst dort nicht. Es wird aber beschrieben, wie unangenehm es dort riecht. 

 

"The first floor had almost a foot of water, some of it surging out past my ankles as I stepped inside. Even as I thought about all the rot and damage this flooding would inflict on the structure of a home over a hundred years old, the smell hit me: a putrid, sewage stench. Exponentially more potent than Venice. I gripped my mouth and nose. I tried to breathe the scent of my palm as I called for my mom."

 

Sie sucht die Wohnung ab und findet eine Notiz: "The floors wet". Das ist alles. Jackie überlegt noch "Who was this stupid complaint even for?"

 

Dann erst bemerkt sie, woher das Tropfen kommt, das sie schon die ganze Zeit hört. Von wem. Sie schaut zur Treppe.

 

"As kids, Allie and I had spied on our parents whenever they had company, sneaking for our rooms to the banister, staying low, giggling at each other to be quiet."

 

Diese harmlose, nostalgische Kinder-Erinnerung wird uns hier angeboten und dann der Anblick der erhängten Mutter im Treppenhaus. Nun erklärt sich, woher der Gestank kommt und woher das "Dripping":

 

"The dripping was coming from beneath her nightgown, her fluids slowly draining into the water."

 

Wer da nicht emotional mitgeht in dem Gefühl von Ekel, Schock, Verwirrung und Trauer, da weiß ich auch nicht. Ich finde dieses Kapitel extrem gut gemacht und kann diese Szenen auch nicht mehr vergessen. 

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