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Queer*Welten 4

Inhalt

Ich bin ein Fan dieser Zeitschrift. Vor allem aufgrund der Essays, aber auch die Kurzgeschichten versprechen  diverse Charaktere, interessante Welten und originelle Plots. Da ich als Leserin bei einigen Bereichen der Phantastik und SF noch in der Grundschule bin, kann ich nicht jedem Thema leicht folgen. 

 

Im Vorwort kommt diesmal auch der Verleger Stephan Urbach vom Ach je Verlag zu Wort: sehr sympathisch und interessant, wie die Queer*Welten vor über einem Jahr zustande gekommen ist. Und schön zu erfahren, dass das nächste Jahr schon mal gesichert ist.

 

Im Raum steht die Wut von Teresa Teske

Teresa folge ich schon eine Weile bei Twitter, außerdem war sie mit einer Geschichte bei der Urban Fantasy: going intersectional dabei.

Zunächst glaubte ich, diese Geschichte sei in der zweiten Person Singular geschrieben. Es ist aber anders: Das erzählende Ich spricht hier eine weitere beteiligte Person beim Erzählen direkt an. Diese Doppel-Perspektive ist  reizvoll und bietet so natürlich auch den Raum dafür, zwei Figuren nicht zu "outen", was ihr Geschlecht betrifft. Eine ziemlich coole Idee.

Dem Plot konnte ich gut folgen. Es gibt einige sehr interessante Hinweise zur Welt, die geschickt eingebaut werden, während die Charaktere gezeichnet werden. Richtig originell finde ich, wie die Namensgebung zustande kommt. Hierbei ist nicht nur die Stunde der Geburt wichtig, sondern auch Details, die erst klar werden können, wenn das Leben bereits läuft wie "die Anzahl der Tage, die du gebraucht hast, bis zu zum ersten Mal deinen eigenen Namen ausgesprochen hast". Was für Details! Die Story ist vielschichtig und lässt mich als Leserin erst nach und nach entdecken, worum es eigentlich geht, während die Spannung sich mehr und mehr verdichtet. Die Figuren und das Setting würden auch locker eine längere Erzählung hergeben. 

 

Ritterchen Vulva von Jasper Nicolaisen

Nein, es ist nicht, was ihr jetzt denkt. Der Name wird aber später noch wichtig. Am Anfang fand ich es aufgrund der klar phantastischen Figuren und der fremden Welt (und Vokabeln) schwer, hineinzukommen. Das ändert sich aber, als unsere Welt in Form eines Kindes in einer Bibliothek ins Spiel kommt. Für die Pointe hat es sich für mich gelohnt, dabei zu bleiben.

 

Angesicht zu Angesicht von Tristan Lánstad

Diesen Autor kenne ich bereits von der Badass-Angels-Anthologie. Bei dieser Gelegenheit habe ich seine Autorenhomepage genauer untersucht, die einige sehr coole Artikel bietet. In der Badass-Anthologie hatte er locker eine der besten Stories abgeliefert.

In dieser Story hier geht es um Magie, unter anderem Magie mit (oder in) Spiegeln. Kada ist hier die Hauptperson, während die Verwendung eines Pronomens vermieden wird (eine andere Figur wird übrigens mit "sey" und "seyr" benannt) und das auf so geschickte Art und Weise, dass es mir kaum aufgefallen wäre. Die Geschichte fokussiert auf Kadas schwerer Prüfung im Spiegel. Auch die Dynamik zwischen Kadas und Kadas Ausbilder wird beschrieben, später wird mir dann klar, warum das wichtig ist.

Die Geschichte ist sehr anspruchsvoll. Ich habe sie im Abstand von circa einer Woche zweimal gelesen. Beim zweiten Mal habe ich sie dann verstanden und war von dem Schluss und der Pointe extrem beeindruckt. Es verlangt mir doch noch manchmal einiges ab, mich auf eine sehr fremde Welt einzulassen. Irgendwo habe ich kürzlich gelesen, dass unsere Leseerfahrungen (oder Film-Erfahrungen) unser Leseverständnis massiv beeinflussen (ist ja irgendwie auch klar) und mir fehlt im phantastischen Bereich noch einiges an Leseerfahrung.

 

 

Die Angst vor der Cancel Culture von Elea Brandt

Ich war so begeistert, dass ich der Autorin via Twitter gleich euphorisches Feedback gegeben habe. Das Thema war ja vor allem innerhalb der letzten zwölf Monate ein Thema, siehe JK Rowling mit ihren transfeindlichen Äußerungen. Elea nennt hier auch noch Lisa Eckart, Monika Maron und Til Lindemann.

In dem langen und sehr gründlichen Aufsatz, der extrem gut recherchiert und durchdacht ist, holt Elea angenehm weit aus: Angefangen beim Harper Letter, weiter damit, was Cancel Culture eigentlich ist und warum das keineswegs ein neues Phänomen ist. Boykotte und Call Outs in Social Media sind eine der "wenigen Optionen", die "marginalisierte Menschen" haben, "von privilegierten, mächtigen Personen Verantwortung für ihre Handlungen einzufordern".

Beispiel: Man ist nicht einverstanden mit den transfeindlichen Äußerungen von JK Rowling und kauft die Bücher nicht mehr. Wie ich mir schon gedacht habe, ist das aber bei weitem nicht so erfolgreich (im Falle der wirklich mächtigen, berühmten Personen), wie man vielleicht meinen würde.

Elea beschreibt sorgfältig, welche Effekt Cancel Culture auf Personen wie Jeanine Cummins und JK Rowling hatte. Beide Personen erhielten viel prominente Unterstützung, teilweise kostenlose Werbung und haben ja außerdem auch die Möglichkeit, sich rechtlicher Schritte zu bemühen, die auch (von JKR) genutzt wurden.

Fazit: Die müssen nicht wirklich Angst davor haben, "gecancelt" zu werden.

Das ist zwar nicht überraschend, aber ich finde es bemerkenswert, wie schlüssig erklärt das an dieser Stelle ist. Bisher schwebte das eher diffus in meinen Gedanken, hier lese ich das alles mal zu Ende gedacht.

Elea zeigt ganz klar, dass Autor:innen natürlich in Gefahr sind, in die öffentliche Kritik zu geraten. Sie schreibt aber auch, dass man nicht gleich gecancelt wird, nur weil man mal einen Fehler macht. Es käme darauf an, wie wir damit umgehen.

Der für mich wichtigste und bemerkenswerteste Gedanke in ihrem Essay ist folgender:

 

"Wenn uns die stimmen marginalisierter Menschen helfen, bessere Geschichten zu erzählen, inklusivere Geschichten, Geschichten, die Positives bewirken, statt Menschen zu schaden, dann erweitern wir damit unser Repertoire, wir beschneiden es nicht."

 

Dem stimme ich vollumfänglich zu. Hier und da habe ich ja auch mal Fragen oder Beschwerden gehört, man dürfe gewisse Dinge nicht mehr schreiben oder darstellen. Wie auch Elea schreibt: Man darf. Wer soll uns hindern? Aber dieser ausformulierte Gedanke ist so viel besser. Warum nicht Geschichten erzählen, die weg von alten Klischees und Vorurteilen sind?

 

Sie nennt ein cooles Beispiel:

 

"Wenn ein Autor schreibt, Paris sei die Hauptstadt von Italien, ist das falsch und würde unweigerlich Unglaube, Kritik oder Spott nach sich ziehen. Warum sollten wir bei der Fehldarstellung marginalisierter Gruppen, die nachweislich Schaden anrichten kann, weniger strenge Maßstäbe anlegen?"

 

Ich habe erst kürzlich eine Kurzgeschichtensammlung massiv kritisiert, weil ich finde, dass Behinderungen stereotyp und schädigend dargestellt wurden. Darüber hinaus habe ich die Darstellung von lesbischem Sex im Roman Neanderthal angezweifelt (wobei ich fragwürdige Sexszenen nun weit weniger schlimm finde als eindeutig behindertenfeindliche Plots, aber hier hätte eine lesbische Testleserin sicher nicht geschadet).

 

An einer Stelle schreibt Elea:

 

"Immer wieder ziehen sich Frauen, queere Menschen, BI_PoC etc., aus Debatten zurück, weil sie die Flut an Hass und Belästigung nicht mehr ertragen."

 

Dies deckt sich mit meinen eigenen Erfahrungen in den sozialen Medien. Ergreife ich Partei für marginalisierte Gruppen - sei es, durch den Gebrauch des Gender-Doppelpunkt oder Hinweisen auf Othering - scheine ich einen Personengruppe zu wecken, die sich darüber lustig macht oder sogar widerspricht. Hier ist der Gegenwind von bestimmten Personengruppen doch sehr scharf und kalt.

 

In dem Aufsatz stecken noch mehr gute Gedanken und Ideen. Es lohnt sich alleine schon deswegen, sich die Ausgabe zu kaufen. 

 

Nach dem Rezensionsteil habe ich zwei weitere Bücher auf der Merkliste:

  • The Dark Fantastic: Race and the Imagination from Harry Potter to the Hunger Games von Ebony Elizabeth Thomas
  • Die schwarze Madonna - Fatou Falls erster Fall: Afrodeutscher Heimatkrimi von Noah Sow (wobei dieses Buch von Elea erwähnt wurde, nicht im Rezensionsteil)

Harte Fakten

Titel Queer*Welten 4 
Autor*innen Teresa Teske, Jasper Nicolaisen, Tristan Lánstad, Elea Brandt 
Erscheinungsjahr 2021 
Seitenzahl 66 
Herausgeber*innen Judith Co. Vogt, Lena Richter, Kathrin Dodenhöft 
Anzahl Geschichten

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