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Die Lieferantin von Zoë Beck

Inhalt

Die Handlung hält sich an die Naturgesetze. Die Technik ist ziemlich fortgeschritten, was Drohnen betrifft, aber auch nicht sonderlich futuristisch - abgesehen mal davon, dass wohl noch niemand Drohnen zur Drogenauslieferung benutzt. 

Die Science-Fiction-Komponenten sind eher politischer Natur. Der Roman ist von 2017 und in der Story-Handlung ist der Brexit längst abgeschlossen. Er spielt also in der nahen, möglichen Zukunft. Es wird über den "Druxit" nachgedacht (schärfere Gesetze hinsichtlich des Drogenmissbrauchs). Es gibt die "Rotweißblauen", die extrem rechts sind, rassistisch und gewaltbereit. Diese politischen und gesellschaftlichen Wandlungen hängen recht bedrohlich über der Romanhandlung und beeinflussen diese stark.

 

Zum Inhalt

Elliot "Ellie" Johnson ist die Lieferantin. Man kann im Darknet Drogen bestellen, ihr Shop ist extrem gut organisiert - und sie arbeitet mit Drohnen. Doch natürlich gibt es auch die klassische Konkurrenz, die alteingesessenen Drogenfamilien, für die das Darknet eher neu ist und die ihre Ware seit jeher auf der Straße verkaufen.

Ein Mord zu Beginn des Romans tritt eine ganze Reihe an Ereignissen los, die ihren Shop und letztendlich auch ihr Leben bedrohen. Dazu hat das alles Einfluss auf den "Druxit"; nicht nur persönliches Schicksal, sondern auch die gesellschaftliche Richtung des Landes kann von den Ereignissen stark beeinflusst werden.

 

Analyse

Es gibt massig Perspektiven in diesem Roman. Diese bieten alle Facetten, die Geschichte und den Plot zu beleuchten. Ob sie nun alle zwingend notwendig sind, weiß ich nicht so genau. Positiv zu sagen ist, dass die Figuren sehr unterscheidbar sind und keineswegs flach bleiben. Allerdings handeln nicht alle immer nachvollziehbar, hier und da bin ich mal bei einigen Entscheidungen nicht ganz mitgegangen.

Der Plot ist in der Gesamtheit recht beeindruckend, aber auch dort gab es Wendungen, die ich nur schwerlich akzeptieren konnte. In der Mitte hat der Roman für mich einen ziemlichen Hänger. 

Es gibt auch viele Nebenschauplätze, die teilweise etwas sehr ausgewalzt werden. 

Zum Beispiel Ellies verstorbener Bruder: Selbstverständlich ist es interessant, was ihre Motivation zum Betreiben eines Drogenhandels ist. Aber die Rückblicke waren mir dann doch zu viel.

Außerdem kommen die Schicksalsschläge gleich im Viererpack. Ellies Bruder war nicht einfach nur drogensüchtig (so etwas soll es ja auch geben), er hatte chronische Schmerzen und wurde so abhängig von schmerzstillenden Drogen. 

Die Schwester einer der Unterhändlerinnen der Lieferantin hat auch nicht einfach nur ihr Kind in der 30. Woche verloren und wurde dann depressiv. Nein, sie verlor dabei auch noch ihre Gebärmutter, ihre Blase wurde verletzt und sie hat sich eine bakterielle Infektion der Nieren zugezogen. Mir hätte der Verlust des Kindes als Auslöser für die Depression schon völlig ausgereicht. Es wirkt, als würde die Autorin vorsichtshalber klotzen, damit wir auch ja nicht daran zweifeln, dass die Figuren alle gute Gründe für ihr Verhalten haben. Mir ist das an einigen Stellen zu dick.

Auch eine andere Nebenfigur, die erst im letzten Viertel eine Rolle spiel, hat eine sehr dick aufgetragene Vergangenheit und eine weitreichende Entscheidung fand ich nicht sehr nachvollziehbar.

 

Der Stil ist OK, allerdings wird einiges nicht szenisch erzählt, sondern narrativ zusammengefasst oder es wird mit Rückblicken und Erklärungen gearbeitet. Ich muss eigentlich nicht im Detail wissen, wie die Drogenbestellungen funktionieren. Es reicht, wenn die Autorin das genau weiß und es in der Prosa durchschimmert. Teilweise fühlte ich mich wie in einem Crashkurs über das Darknet, Drohnen und Drogenlieferketten.

Dabei hat die Autorin szenisches, interessantes Erzählen mit genau der richtigen Anzahl von Details durchaus drauf. Ich wäre unter Umständen bereit, mal einen anderen Roman von ihr zu lesen, wenn mir vorher jemand sagt, der sei viel besser.

 

Ein Blick in die wikipedia verrät mir aber, dass sie wirklich viele Romane veröffentlicht hat - müssten dann so Dinge wie InfoDump meiden nicht längst bekannt sein? Vermutlich wollte sie diese Details unbedingt an ihre Leserschaft bringen, möglicherweise waren die ja für andere auch spannend und interessant.

 

Der Autorin gelingt es mit wenigen Sätzen, jede Figur lebendig zu machen. Es gibt auch viele sehr aktive Frauenfiguren. Frauen, die ihr Leben selber gestalten und komplett unabhängig von Männern sind (oder zumindest die meiste Zeit, es gibt schon mal hier mal da eine wichtige männliche Person in der Lieferkette). Die handelnden Frauen scheinen alle solo zu sein. Sex spielt kaum eine Rolle (es gibt null komma null Sexszenen) - Liebe aber schon, aber eher die Liebe zu Familienmitgliedern. Und, in geringerem Maße, auch Freundschaft.

 

Witzig ist, die Autorin ist aus Deutschland, ihr Roman spielt aber in London und Edinburgh. Das Setting wirkt auch sehr authentisch, vermutlich hat sie da mal viel Zeit verbracht.

 

Die Hauptfiguren sind moralisch nicht einwandfrei und treffen teilweise grenzwertige Entscheidungen. Die Bösen sind anfänglich mächtig, machen dann aber doch recht dumme Fehler und die Figur auf Seiten der Bösen im Showdown ist mir dann doch zu schwach. 

Außerdem gibt es bezüglich der Figuren doch zwei arg große Zufälle, man könnte fast meinen, London sei ein kleines Dorf. Auch wenn ich zugeben muss, dass das die Geschichte stellenweise ganz interessant gemacht hat. (Und mir das in anderen Romanen ebenfalls auffällt, vielleicht ist das einfach das Romanhafte an Geschichten, dass immer alle alle kennen, Dickens hat damit irgendwann begonnen und wir machen seitdem damit weiter.)

 

Insgesamt würde ich vermutlich 3,5 von 5 Punkten geben und wäre bereit, auf 4 aufzurunden. So ganz mein Ding war es aber eben nicht - daher würde ich vorerst von der Autorin nichts anderes lesen, auch hinsichtlich meiner berstenden Merkliste. Den Namen werde ich mir allerdings merken, da doch einiges an dem Roman recht positiv in Erinnerung bleibt (siehe auch unten zu Diversität).

Diversität

Mo, eine der Hauptfiguren, ist schwarz. Sie hat extreme Probleme mit rassistischen Übergriffen durch die Rotweißblauen. Weit mehr als jene körperlichen Übergriffe hat mich aber der Mikro-Rassismus beeindruckt, den Mo vor allem als Kind und Jugendliche erlebt hat. Adoptiert von einer rein weißen Familie hatte sie niemanden um sich, der so aussieht wie sie. Dieses "Ich bin anders und sie wissen es" wird gut rübergebracht. Kleiner Hinweis: Das N-Wort kommt mehrfach vor.

 

Was Diversität betrifft, ist der Roman in mehrfacher Hinsicht zu empfehlen. Mo hat eine Exfreundin. Leigh, der Restaurantbesitzer, der die Geschehnisse überhaupt erst in Gang setzt, ist schwul. Über Ellies Sexualität wird gar nichts gesagt. Es wird lediglich erwähnt, wie hübsch sie Mo findet, ob das allerdings sexuell konnotiert ist, bleibt unklar. 

 

Das fand ich beim Lesen sehr erfrischend. Es sind eben nicht alle Figuren ganz selbstverständlich weiß, hetero und am besten auch noch in glücklichen Beziehungen mit Kindern. 

Harte Fakten

Titel Die Lieferantin 
geschrieben von Zoë Beck
übersetzt von Thomas Wörtche
Erscheinungsjahr 2017 
Seitenzahl 324 
Länge Hörbuch 8 Std. 9 
eingesprochen von Antje Thiele  
Original Twitter Tweet https://twitter.com/Rezensionsnerd1/status/1412643255481769985 

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