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Geschichten aus dem Alexandria Inn: Anthologie

Inhalt

Eine Anthologie mit Geschichten aus der mondänen Fiktion, der Urban Fantasy und der Dunklen Phantastik. Die Figuren reichen von ganz normalen Menschen und Rollenspielnerds bis hin zu Vampiren. 

 

Enthalten sind folgende Storys:

Alle Geschichten spielen im Alexandria Inn. Die Atmosphäre unterscheidet sich zum Teil sehr und auch der Ort (und teilweise das Land), an dem sich das Alexandria Inn befindet.

Bei Unerwartete Ergebnisse ist es ein gut besuchtes Café in Paris und zwar eines, in dem auch gern gegessen und gefrühstückt wird. In Das Übliche? ist es eine abgeranzte Kneipe in New York mit fast nur männlichen Besuchern und ich habe niemanden etwas essen sehen. Bei Geänderte Spielregeln ist das Alexandria Inn voller Rollenspiel-Nerds (na ja, nicht nur ...). 

 

Wie immer sage ich nicht etwas zu allen Kurzgeschichten, aber zu einigen, und dafür dann gründlicher:

 

Unerwartete Ergebnisse von Vik Kuttner

Die A-Story mag wie eine normale Pointenstory daherkommen, doch die B-Story ist  gut eingebettet und lebensecht geschildert, hat mir außerordentlich gut gefallen. Auch sprachlich ist es mindestens gefällig. Zum Inhalt: Die deutschsprachige Hauptfigur, Sascha Marticzek zieht nach Paris, mit durch guten Französischkenntnissen, aber noch nicht auf Muttersprachler-Niveau. Außerdem kennt Sascha dort niemanden.

"Es schien eine seltsame Eigenheit der Leute aus Paris zu sein, ihre Freizeit vorwiegend mit Personen zu verbringen, die mindestens seit der Schulzeit zu ihrem Freundeskreis gehörten."

(Ich kann versichern, das gilt auch für Kiel.) Sascha ist also in der Freizeit sehr allein, was für die B-Story bedeutsam ist. Eigentlich geht es m. E. nämlich in der Geschichte um Einsamkeit und ihre Überwindung.

Die A-Story ist jedoch simpler und leichter zu finden: Sascha besucht regelmäßig dasselbe Café (das Alexandria Inn) und hört am Nebentisch, wie jemand offenbar einen Mord plant.

"Gab es vielleicht ein französisches Wort, das ganz ähnlich klang wie "umbringen", aber etwas völlig anderes bedeutete?" - schöner Gedanke!

Sascha traut den Sprachkenntnissen nicht ganz, besorgt sich sogar Hilfsmittel, landet immer wieder am Nachbartisch und hört dem Dialog zu, entsetzt bis fasziniert. Es geht so weit, dass die Hauptfigur am Rechner zu den Giften recherchiert, die am Nebentisch zur Sprache kommen. Ich befürchtete zwischendurch eine ganz andere Auflösung, nämlich, dass es einen Mord geben würde und Sascha aufgrund der Suchhistorie in Verdacht gerät, aber es wird ganz anders aufgelöst.

Schöner noch als die Pointe der A-Story fand ich die Auflösung von Saschas Einsamkeit am Ende, oder zumindest das Versprechen, dass sich diese auflösen könnte.

Es wurde zweimal "spitzte die Ohren" verwendet, das hätte ich als Testleserin sicher angestrichen und angeregt, es mindestens einmal durch eine andere Wendung zu ersetzen, vielleicht sogar beide Male.

Die Atmosphäre der Geschichte ist schön, es kommt Paris-Flair rüber, die Nebenfiguren werden durch treffende Details (und keineswegs zu ausgiebig) beschrieben, ich bin schön nah an der Hauptfigur und ihren Gedanken dran. Guter Einstieg in die Anthologie.

 

Das Übliche? von Martina Nitsche

Zunächst spielt die Autorin hier schön mit den Klischees einer Detektivgeschichte, versäumt es aber nie, sich davon abzusetzen. Die Straßen von New York werden als "raues Pflaster" bezeichnet, das habe ich wohl schon mal gehört. Aber in der ersten Szene wird New York dann sehr plastisch und detailreich im Regen und im harmlosen Abendgewand gezeigt. Das Alexandria Inn in dieser Story war mal eine Flüsterkneipe mit Zugang zur alten Kanalisation, was später noch wichtig wird.

Die Motivation des Ich-Erzählers, des Privatdetektivs Henry, eine Frau mit Hinweisen zu einem Fall außerhalb seines Büros aufzusuchen, werden überzeugend dargestellt. Da sitzt er nun, wartet, und trinkt einen Bourbon nach dem anderen. Es taucht nicht die Person auf, die er erwartet hat. Obwohl er immer wieder zögert, wohl auch, weil sein Bauchgefühl ihn zu warnen versucht (aber vor allem, weil ihn die Sache nervt), lässt er sich auf die Situation ein und macht eine außergewöhnliche Erfahrung.

Das gewisse Etwas bekommt die Geschichte durch den rätselhaften Schluss, in dem eine Nebenfigur etwas Farbe gewinnt.

Bis dahin war es klassische Detektivgeschichte meets ebenso klassische Urban Fantasy - stilistisch einwandfrei und sehr gut zu lesen, vielleicht hätte ich persönlich ein paar Adjektive weniger gebraucht.

Meine Lieblingsfigur war der Kellner. Solche bleiben dann selbst solchen in Erinnerung, die mehrere hundert Kurzgeschichten pro Jahr lesen.

Das Besondere an dieser Geschichte, rein formal, ist für mich das interessante Crossover zwischen Hard-boiled-Detective Story und Dark Phantastik - das habe ich so noch nicht oft gelesen und in Kurzprosa glaube ich sogar noch nie.

 

Das Gasthaus hinter der Brücke von Sarah O'Lange

Habe ich von der Atmosphäre her schon recht früh als Dark Phantastik eingestuft, und das war es dann auch. Allerdings muss ich sagen, dass es den typischen Themen des Genres für mich nichts neues hinzufügt, auch keine neuen Aspekte oder Wendungen. Ja, es gibt einen Plottwists am Ende, der war aber nicht unerwartet, wenn man schon ein, zwei Storys dieser Art gelesen hat.

Was mich mehr gestört hat, war, dass es sprachlich so absolut im Fahrwasser bereits gelesener (Horror-)literatur schwimmt. Es ist sehr detailreich, mir definitiv zu detailreich. Die ersten drei Seiten hätte ich gar nicht gebraucht. Für mich hätte die Geschichte beginnen können, als die Ich-Erzählerin das Alexandria Inn betritt.  

Die genutzten Wendungen sind teilweise schon sehr abgegriffen: einmal ist sie vor Angst wie erstarrt, dann wie gelähmt, als nächstes läuft es ihr kalt den Rücken hinunter. Ich habe keinen einzigen interessanten eigenen Vergleich gefunden oder überhaupt etwas, das mich sprachlich hätte faszinieren können.

Dann der Klassiker - Frau ist nackt und in Gefahr. Zwar stellt sich zum Glück heraus, dass das mit Sex nichts zu tun hat, aber diese Urangst weckt so geschildert in mir keine Spannung, geschweige denn Grusel. Sie wird von einem Mann gerettet - super. Das habe ich ja noch nie gelesen. Das stellt sich dann zum Glück als falscher Ausweg heraus, aber den Schluss habe ich dann als schweren Logikfehler empfunden. Ich-Erzählerin schildert in der Vergangenheit und am Ende wird angedeutet, sie wird gleich ihr Leben lassen? Da haut doch etwas nicht hin. 

Schade, dass auch diese tolle Anthologie dann doch einen Ausfall dabei hat.

 

Geänderte Spielregeln von Patrick F. H. Stolze

Urban Fantasy ist nicht mein Lieblingsgenre, aber das hier ist einfach so gut gemacht, dass ich nur genießen konnte. Hier findet der Protagonist Richard im Alexandria Inn zwei Personen, von denen ich rasch ahne, dass sie mehr sind als nur gut verkleidete Life-Rollenspieler. Das Setting und die Dialoge sind schön nerdig, Rollenspieler (egal ob Pen und Paper, Online oder Life) werden mehr Freude haben als hergelaufene Normalos wie ich, die in den Neunzigern das letzte Mal A, D & D gespielt haben.

Trotzdem lohnt sich ein Dranbleiben, denn die Kombination Industrialisierung, Klimawandel, Atomkraft und Magie lohnt sich sehr! Schön zu Ende gedacht und eine der besten Urban Fantasy-Ideen der letzten Jahre, die mir bekannt sind (und ab und zu lese ich ja doch auch Kurzprosa aus diesem Genre). 

Ein bisschen schade ist ein sehr harter Bruch gegen Ende der Geschichte und als Schluss hätte ich mir mehr gewünscht.

Allgemeines

Zur Orientierung wäre es gut gewesen, im Inhaltsverzeichnis auch die Namen der Autor:innen zu haben, nicht nur die Titel der Storys.

Wie bin ich zu dem Buch gekommen?

Martina hat mich bei twitter darauf aufmerksam gemacht und ich habe es mir via Kindle Unlimited besorgt und gelesen.

Harte Fakten

Titel Geschichten aus dem Alexandria Inn: Anthologie  
herausgegeben von Odine Raven
Erscheinungsjahr 2022 
Seitenzahl 129 
Anzahl Geschichten
Original Twitter Tweet https://twitter.com/Rezensionsnerd1/status/1496765107287859204 
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