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Todesmarsch von Richard Bachmann (Stephen King)

Inhalt

Das ist ein Re-Read. Ich kannte es noch nicht als Hörbuch, hatte es aber schon mehrfach auf Deutsch und Englisch gelesen. Keine Ahnung, dreimal? Viermal? Vielleicht sogar fünfmal, verteilt auf etwa zwanzig Jahre.

 

Ich weiß noch, als ich es das erste Mal las, wusste ich nicht, worum es geht, vermutlich, weil ich damals schon keine Klappentexte gelesen habe. Ich wusste also nicht, was den Jungen blüht, die beim Marsch schlappmachen. 

 

Hundert siebzehnjährige Jungen machen sich in dieses dystopischen USA einmal im Jahr auf den Weg, um durch Maine (und selten auch durch ein, zwei andere Staaten, je nachdem wie weit sie kommen) zu gehen. Ununterbrochen. Mindestens vier Meilen pro Stunde (6,4 km/h). Wer dreimal langsamer wird, ist weg. Erschossen.

 

Das wird auch beim Lesen recht schnell klar. Es geht nichts über das erste Mal, als mir diese Erkenntnis kam, da der Autor das ziemlich gut verbirgt, bis es dann passiert, vorher kann man sich das zwar denken, aber auch diese "Ist das echt so?"-Art, die King so unglaublich gut drauf hat. Aber auch beim Wieder-Lesen birgt der Roman noch die Faszination, die er schon immer hatte und jedes Mal begreife ich mehr von der Bedeutung.

 

Mein Lieblingsbuch ist der Dunkle Turm, aber das ist eine Schwarte mit sieben Bänden (und sollte GRRM jemals GoT zu Ende schreiben, löst das vielleicht den Dunklen Turm ab); aber wenn es um Einzelromane geht, und dann auch noch um kurze, kompakte Romane mit hoher Dichte, könnte Todesmarsch an erster Stelle stehen.

 

So einfühlsam, so krass. Ich muss beim Hören ständig weinen, dabei ist es nie vordergründig mitleidheischend, er übertritt nie diese Linie, lässt viel in meinem Kopf stattfinden. Ein großartiges Werk.

Inzwischen kann ich auch den Schluss akzeptieren, sogar als einzig möglichen, einzig sinnvollen Schluss.

 

Ich glaube übrigens, dass ich den Roman vorher nie ganz verstanden habe. Vielleicht sogar immer noch nicht. Doch es gibt eine wichtige Leerstelle und zwei Hinweise. Einer der Geher, Stebbins, berichtet von einem Ende eines früheren Laufs und dass der Gewinnerjunge nur zu dem toten Zweitletzten gesprochen hat und nicht geantwortet hat, als man ihn nach seinem Preis gefragt hatte.

Ein anderer Sieger des Marsches, aus Maine, hatte ein Gehirnaneurysma, an dem er eine Woche später verstarb.

Auf der anderen Seite wird eben nie von Siegern berichtet, die es sich danach gut gehen haben lassen - da stimmt doch etwas nicht! 

Auch die Hauptperson, Garraty, scheint am Ende nicht mehr bei sich zu sein, er reagiert jedenfalls nicht vernünftig. Es wirkt nicht so, als würde sich sein Geist jemals von diesem Marsch erholen, ich vermute, er rennt am Ende in den Tod.

 

Man erfährt nie von früheren Gewinnerjungen : Was treiben die? Ist keiner von denen berühmt? Hat niemals jemand von denen ein Interview gegeben? Das wäre doch besprochen worden! Es klingt so, als wären die alle verschwunden. Niemand wird namentlich erwähnt. Da stimmt doch was nicht. Vermutung: Die sind alle wahnsinnig geworden. Niemand hat je seinen Gewinn eingelöst und ist reich und glücklich geworden, alle waren nach dem langen Marsch am Ende. Ich glaube, das hatte ich zwar vage vermutet, aber diese eigentlich explizite Leerstelle war mir vorher nie aufgefallen. Ich denke, das galt nicht nur für den Jungen aus Stebbins' Erzählung und für Garraty, das galt für alle bisherigen "Sieger". 

Romanfiguren

Figurenzeichnung ist eine von Kings Stärken. So auch hier. Wir lernen natürlich Garaty am besten kennen, aber auch DeVries oder Stebbins, Baker, Abraham - viele der Jungen gewinnen rasch an Kontur, selbst jene, die gar nicht so viel Bühnenzeit haben, wie der verheiratete, leichte naive junge Mann, der sicher gewonnen hätte, hätte ihn nicht ein grippaler Effekt erwischt.

 

Wie gelingt dies? Wir erleben sie in einer Extremsituation, in denen sie stehts nur zwei Minuten vom Erschießen entfernt sind, zeitgleich aber (meistens) die Hoffnung auf das Überleben und Siegen hegen. Anfänglich werden noch Pläne für "danach" gemacht, so der Junge, der plant, ein Buch über den Marsch zu schreiben. 

 

Einige bleiben eine Weile geheimnisvoll, wie DeVries wegen seiner Narbe und seinem widersprüchlichen Verhalten. Es fällt dann sehr leicht, DeVries zu lieben, da er sein Leben aufs Spiel setzt, um Garaty zu retten, sogar mehrfach (und Garaty rettet seines), aber sie sind bereits sympathisch, bevor sie diese extremen Taten vollführen.

 

Wie immer bin ich unsicher, wie King das genau anstellt. Mit echten, griffigen Details? Gut beobachteten menschlichen Macken? Sicher ist nur: Viel Platz braucht er dafür nicht!

 

Buchaussage

 

A-Story ist klar: 100 Jungen marschieren los, nur einer kann überleben. Ein klassischer, quasi archaischer Plot, den jeder sofort begreift.

 

B-Story: Eigentlich eine Coming-of-Age-Geschichte. Die meisten der Jungs, die uns ans Herz wachsen, sind naiv oder unwissend oder zumindest nicht-wirklich-begreifend da hinein gerutscht. Garaty hätte sich geschämt, abzuspringen. DeVries hat Liebeskummer. Stebbins wollte es seinem Vater zeigen. Einige sehnen sich nach Wohlstand oder Berühmtheit.

Ein Stück weit entwachsen sie diesen Motiven, doch sie können eben nicht zurück. Es gibt kein Aufgeben, keinen Abbruch des Wettbewerbs, sie müssen weitergehen oder sterben.

Insofern können sie aus der Erkenntnis nichts machen, außer ihre letzten Tage oder gar nur Stunden/Minuten gehend zu Ende zu bringen. 

 

Prämisse: Niemand kann ein Spiel gewinnen, bei dem so viele Leute ihr Leben lassen müssen. Oder: niemand kann bei einem Spiel gewinnen, bei dem alle anderen ihr Leben lassen müssen. 

Harte Fakten

Titel Todesmarsch 
geschrieben von Richard Bachmann (Stephen King)
Verlag Heyne / gehört via Audible 
übersetzt von Nora Jensen 
Erscheinungsjahr 1979 
Seitenzahl 401 
Länge Hörbuch 10 Std. 46 
eingesprochen von David Nathan 
Original Twitter Tweet https://twitter.com/Rezensionsnerd1/status/1593578085898547200 
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