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Terrace Story von Hilary Leichter

Terrace Story ist nicht ganz in meiner Komfortzone und gerade deswegen ein großartiger Roman.

 

Das Großartige daran ist, dass er so viel bedient, mein Bedürfnis, mein Hirn herauszufordern, mein Herz zu involvieren, meine Neugier auf neue Ideen in Prosa zu befriedigen und interessante Figuren und Welten zu fordern. 

 

Der Stil ist fast perfekt, adressiert einige wenige Alltagsprobleme wie nebenher und macht eine interessante Prämisse auf. Interessanterweise hat der Rezensent (Ian Mond) der Locus (daher hatte ich den Tipp für diesen Roman) eine komplett andere Prämisse gesehen als ich. Ian Mond schreibt "... is about the fear of losing those we love in an inherently unstable environment".

Das habe ich durchaus als Prämisse schon öfter gelesen in diesem Jahr, aber in diesem Roman scheint mir doch etwas anderes im Vordergrund zu stehen: "Wenn ich etwas hier hinzufüge, von wo nehme ich es dann weg? Und: Gilt das auch für Glück?"

Dafür hat es eine schöne phantastische Metapher gefunden und das könnte man als Analogie zur Ressourcenverteilung auch in Zeiten des Klimawandels sehen. Aber das führt vielleicht zu weit, so konkret habe ich es gar nicht empfunden.

Für mich steckt der entscheidende Hinweis in dieser Textstelle:

"Stephanie wondered if her rare moments of happiness had always been siphoned away from someone else."

 

Terrace Story besteht aus vier Episoden, die für sich alleine stehen könnten (Vor allem die erste, die ursprünglich auch alleine erschienen ist), sich aber gegenseitig ergänzen. Nun, die vierte alleinstehend zu lesen würde wohl nicht viel Spaß machen, auch wenn man sie ggf. auch ohne Vorkenntnisse verstehen würde. Das wäre dann aber eine dieser Kurzgeschichten, die man mehrmals lesen muss und für die man viel Lese-Erfahrung in diesem Bereich braucht.

 

Alle vier gemeinsam haben einen Charme, den keine Episode einzeln (auch nicht die Erste) aufbringen könnte!

 

Wir haben: 

  1. Terrace
  2. Folly
  3. Fortress
  4. Cantilever

Terrace zieht mich schon mal sehr gut in die Geschichte hinein, perfekte erste Episode und auch eine tolle für-sich-stehende Kurzgeschichte. Alleine dafür hätte sich der Kauf bereits gelohnt!

 

Annie und Edward sind dazu gezwungen, in eine kleinere Wohnung zu ziehen und das, obwohl sie bald ein Kind (Rose) erwarten.

"They had spent every penny saved on moving in and moving out, even the coins from under the sink. Now there was a new sink, and an empty jar for fresh, shiny coins."

 

Annie kehrt zur Arbeit zurück und lädt ihre Kollegin Stephanie Samstagabend zum Essen ein. Stephanie hat sie während der Elternzeit vertreten und fängt nun immer noch einen Teil von Annies Arbeit auf, da diese vorerst nur Teilzeit arbeitet. 

Mit einem Gast zum Abendessen ist Annie und Edward die Enge ihrer Wohnung noch unangenehmer, doch dann öffnet Stephanie eine Tür, die eigentlich zu einem Schrank führt und dahinter erstreckt sich die perfekte Terrasse, voll ausgestattet mit Tisch, Stühlen, Schirm. 

Annie und Edward sind mehr als überrascht. Die Aussicht passt auch gar nicht zur Lage des Apartments. Die drei (und Baby Rose) verbringen einen wundervollen Abend, das Paar kann es aber auch kaum erwarten,  alleine Zeit auf der Terrasse zu verbringen.

Daraus wird nichts, als Stephanie sich abends verabschiedet, öffnet sich die Tür lediglich wieder zum Schrank.

Mittels Trial und Error stellt das Paar fest, dass die Terrasse nur in Stephanies Beisein erscheint. Sie laden sie jedes Wochenende ein, bis es zu kalt wird, um draußen zu essen. (Dank des Klimas sehr spät. erst nach Thanksgiving.)

 

Der Schluss dieser Geschichte ist außerordentlich überzeugend, fast schon richtig guter Horror (ohne Blut und Tod!), perfekt getimt, super vorbereitet, eine jener Ideen, auf die ich für den Rest meiner Tage neidisch sein werde. Hervorragend! Dafür lese ich!

 

Folly muss teilweise über meinen Kopf gegangen sein, aber eingebettet in den Rest ist es genussvoll, es geht um Annies Eltern und diese sind, wie wir  an anderer Stelle erfahren, früh gestorben. Einiges bleibt surreal und trotzdem glaubhaft (ja, das mag widersprüchlich klingen). 

 

Fortress dreht sich um Stephanie, von der wir nun einiges erfahren, das vorher unklar blieb. Die Wendungen erfordern etwas mehr Akrobatik im Bereich phantastischer Literatur, berühren und überschreiten aber gegen Ende die Grenze zur SF schon sehr deutlich. Hier meine ich auch, das Thema und die Prämisse des Romans gefunden zu haben.

Alles aus Stephanies Sicht zu lesen, setzt einiges in ein anderes Licht, auf stets gewinnbringende Weise.

 

Cantilever ist für mich fast ausschließlich fürs Herz und ich folge der erwachsenen Rose sehr gern, dieser Teil ist klar SF, in jeder Hinsicht, und findet doch erstaunlicherweise sogar Erklärungen für einiges, was in Teil 3 aufgemacht wurde. Ich kann mich hier sehr gut identifizieren. Dieser eher positive Schluss macht nicht wieder gut, was am Ende der ersten Episode, Terrace, geschehen ist, aber immerhin lässt er mich ein Stück weit Frieden damit schließen.

 

Sprachlich und stilistisch spielt dieser Roman für mich ganz  oben mit. Er hat überzeugende Dialoge, bietet mir komplexes Innenleben. Er kritisiert einiges an unserer Gegenwart, und vergisst dabei nie, was er eigentlich ist: Ein phantastischer Roman. Dabei biegt er meine Weltsicht ganz schön, sprengt sie aber nicht. Ich kann immer folgen, habe stets das Gefühl, dass der Roman seine selbstgesteckten Grenzen und Regeln befolgt.

 

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