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I walk between the raindrops von T. C. Boyle

Die Sammlung Sind wir nicht Menschen hatte mehr großartige SF (alleine schon die Titelstory und Wiedererleben), in dieser Sammlung gibt es zwar auch zwei Geschichten, die unter das Genre Science-Fiction fallen, begeistert haben mich aber eher andere.  

 

Wenn ich diese Sammlung mit der letzten von Stephen King vergleiche, fallen mir mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten ein: Ja, beide schreiben gut, sprachlich sind sie auf einem ähnlichen Niveau, wenn sie sich auch stilistisch stark unterscheiden. Beide haben im Playboy Kurzgeschichten veröffentlicht (wenn es auch bei Stephen King vermutlich länger her ist), beide können zuverlässig ihre Kurzgeschichten verkaufen, sogar Übersetzungen in namhaften Verlagen lohnen sich. 

 

Die Storys von Stephen King gefallen mir besser, da leide ich mit den Figuren mit, dadurch wird es spannender, bindender für mich.

Doch auch Boyle hat Spannung, wenn auch mehr in Romanen Blue Skies, und es ist beachtlich, dass er es schafft, mich für seine Prosa zu begeistern, obwohl er mir fast nie sympathische Figuren anbietet, oder besonders viel Innenleben. 

Enthaltene Storys

  1. I walk between the Raindrops
  2. What's Love Got To do With It
  3. Schlaf am Steuer
  4. Ich nicht
  5. Die Wohnung
  6. Dies sind die Umstände
  7. Der dreizehnte Tag
  8. Der Schlüssel zum Königreich
  9. SKS 750
  10. Big Mary
  11. Die Hyäne
  12. Die Form einer Träne
  13. Hundelabor

Lediglich Schlaf am Steuer und SKS 750 ordne ich eindeutig der SF unter, wobei Schlaf am Steuer nicht so meins war und SKS 750 zwar eine schöne, böse Story ist, diese aber dem belesenen SF-Fan nichts Neues bezüglich der Grundidee bietet. Eine dystopische Welt, in der jeder Mensch einen Punktestand hat und sich daraus Konflikte ergeben und Schwierigkeiten: Das ist im SF-Westen absolut nichts Neues.

Dann ist die Pointe auch noch sehr, sehr vorhersehbar, wobei ich die Story trotzdem genossen habe, in ihrer Bösartigkeit. Auch hier ist wieder kaum eine Figur sympathisch und ich lese trotzdem weiter. Das können nur wenige. 

 

Die Highlights dieser Sammlung sind eher einige der realistischen Storys, die entweder im Hier und Jetzt oder in der näheren Vergangenheit spielen. 

 

Besonders viel Spaß gemacht hat mir Die Wohnung, zumal ich sofort wusste, auf welche realen Personen diese Geschichte anspielte. Auch wenn die Namen der beiden Hauptfiguren nicht vollständig genannt werden, war die Inspiration für diese Storys sicherlich die Leibrente der Jeanne Calment, die die älteste Frau der Welt war (und noch ungeschlagen ist), die mit neunzig Jahren eine Leibrente erhielt für ihre Wohnung, von einem Herrn, der dann aber (obwohl Jahrzehnte jünger) deutlich vor ihr den Tod fand und nie in die Wohnung einziehen konnte.

 

Ebenfalls an reale Situationen angelehnt, wenn auch wohl etwas loser, ist Der dreizehnte Tag. Dies spielt Anfang 2020 auf einem Kreuzschiff, das wegen (zunächst nur einem) Fall von COVID-19 unter Quarantäne gestellt wurde und nirgends anlegen durfte. Beklemmend, sehr realistisch, wirkt authentisch, ist sehr nachvollziehbar und gruselig, gerade aufgrund der nicht allzu fernen Vergangenheit. Wir haben den Anfang der Pandemie alle irgendwo erlebt und noch gut im Kopf, immerhin waren die wenigsten von uns zu Beginn auf einem Kreuzschiff eingesperrt, einer Situation, der Boyle tatsächlich mit so etwas wie Fingerspitzengefühl nachgespürt hat. Trotzdem fehlt es nicht an der Boyl'schen Bösartigkeit, einer Art Erbarmungslosigkeit, auch in der Art, wie er die Enden seiner Storys gestaltet. 

 

Ein bisschen Body-Shaming gibt es auch, vor allem in I walk between the Raindrops, What's Love Got to do With it oder auch Big Mary. Hier gibt es übergewichtige oder sehr hässliche Menschen, was auch ziemlich erbarmungslos geschildert wird. Wenn jemand dick oder hässlich ist, ja, dann kann das einen Einfluss haben auf das Leben, das Erleben, das Wohlbefinden. Auch hier gibt es eine erbarmungslose Treffsicherheit und sicherlich hätten einige andere hier Content Notes verwendet oder die Geschichten so gar nicht erst gedruckt. Die Figuren kommen auch selbst zu Wort, was es nicht unbedingt besser macht, aber eben auch nicht unwahr, vor allem in What's Love Got to do With it, die Einstellung des sehr hässlichen jungen Mannes, der unfreiwilligen Jungfrau, erinnert mich stark an viele Forengespräche, die ich vor zwanzig Jahren mit jungen Männern hatte, die mir (und den anderen Foren-Mitgliedern) geschildert haben, was es für sie bedeutet, hässlich in dieser Welt zu sein, was es für ihr Liebesleben heißt, für ihre Einstellung zu Frauen. 

Damals wollte ich das nicht wahrhaben, doch heute stehe ich eher auf der Position der Protagonistin, die von dem hässlichen Mann gefragt wird, ob ihre Tochter denn mit ihm ausgehen würde. Und sie antwortet Nein.

 

Einzig der Protagonist in Hundelabor wird mir sympathisch und verhält sich, wie ich mich womöglich ebenfalls verhalten würde. Leicht zu lesen ist die Story nicht, hier operieren angehende Chirurgen an Hunden, die sowieso in vier Wochen eingeschläfert werden. Hunde, die von ihren früheren Familien ausgesetzt worden sind und die im Tierheim niemand sonst haben wollte. Diese werden viermal operiert, danach eingeschläfert. So haben die Chirurgen jemanden zum üben, echte lebende Wesen. Es erscheint logisch, dass irgendwo geübt werden muss und notwendig, trotzdem ist das nicht leicht zu lesen und auch der Ich-Erzähler erträgt es kaum. Die Reaktion seiner Freundin finde ich ziemlich unsensibel und wenig hilfreich, ihn und seinen Werdegang kann ich umso besser verstehen.

Fast ein versöhnlicher Abschluss, irgendwie.

 

Ich bin gespannt, was Boyle uns noch so erzählen möchte und im Gegensatz zu King habe ich vom Boyl'schen Kanon ja auch noch längst nicht alles gelesen, so dass ich noch einiges nachholen könnte.

 

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