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Science Fiction Autorin Carol Emshwiller

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Die Autorin

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Laut einer Twitter-Umfrage ist die Autorin in meiner Bubble nahezu unbekannt.

 

Ich hatte eine Kurzgeschichte von ihr in Harlan Ellisons Dangerous-Visions-Anthologien gelesen, die mir extrem gut gefallen hat. Daraufhin habe ich mir gleich einige Magazine und Anthologien besorgt. Rezensionen der beiden Kurzgeschichten "No Time like the Present" und "Quill" weiter unten.

 

Die Autorin ist 1921 geboren und 2019 gestorben. Mit Kurgeschichten ging es für sie 1955 los. Der erste Roman erschien 1988. Ich habe sechs Romane gefunden und mehr als 150 Kurzgeschichten. 

 

Die Autorin schreibt oft (aber nicht immer) in der Ich-Person, und zwar nicht immer aus der weiblichen Perspektive. Sie gehört meines Erachtens zu jeden Autor:innen, die ein Hauptthema - oder sogar ein Hauptanliegen haben. In einer Kurzgeschichte sagt jemand, der leicht anders ist zu einem (Standard-)Menschen:

"You've never liked the different."

Das wird genauer spezifiziert: Menschen mögen vor allem nicht das, was anders, aber doch quälend ähnlich ist. Seien es Hybride, die nur zu fünfzig Prozent humanoid sind. Oder Menschen aus einer anderen Zeit. Oder einfach nur Menschen, die sich kulturell unterscheiden. Oder Frauen. Oder Männer. 

Das Thema kommt nicht in jeder Geschichte vor, aber doch bemerkenswert oft.

 

Emshwiller war aber nicht nur eine Frau. Sie war auch eine Mutter. Eine schreibende Mutter, die sich die Zeit irgendwo abknappsen musste. Kate Wilhelm hat in der Nacht geschrieben, als ihre Familie schlief. Viele historische Männer hatten nicht nur viel Zeit für ihre Kunst, sondern haben auch noch ihre Frauen als Hilfe (meist zum Abtippen, Abschreiben, Korrekturlesen) abgestellt.

 

Emshwiller hat am Ende des Kurzgeschichtenbandes "I Live with You" ihre Rede abgedruckt, die sie 2003 beim Wicon gehalten hat. Das war (damals die einzige) feministische SF Convention. 

"I wondered what my kids felt like with a other struggling to write all the time, so I asked them,"

Über die Antworten ihrer drei Kinder war ich übrigens sehr erleichtert. Eine ihrer Töchter fand es gut, weil so Kunst ein normaler Teil ihres Lebens wurde und sie daher auch Lust dazu bekam. Die andere Tochter erwiderte etwas, von dem ich hoffe, dass es meiner Tochter ebenso geht:

"Getting put to bed and hearing the sound of the typewriter and knowing your mom was right there, was reassuring."

(Bei mir ist es die Tastatur, aber ansonsten ist es hier ähnlich. Allerdings hat Emshwiller ihre Kinder extra früh ins Bett gesteckt, ich wünschte, das würde auch hier klappen.)

Der Sohn allerdings hatte die interessanteste Antwort. Die Autorin fasst zusammen:

"His note was full of how unfair it was that Ed [Emshwillers Ehemann) got to do his art with no hassle and that I had to struggle for every minute."

 

Nicht nur, dass sie um ihre Schreibzeit kämpfen musste, dann wurde darüber auch noch fälschlich berichtet: von brüllenden Kindern, die sie einfach in ein Laufgitter gesteckt hätte, um schreiben zu können.

In Wahrheit aber hat sie das Laufgitter aufgeklappt und um ihren Schreibtisch herum aufgebaut, damit die Kinder nicht mit ihren getippten Seiten weglaufen konnten. Die Kinder lehnten sich öfter mal über das Gitter, um mit ihr zu plaudern (nicht, um zu brüllen). Da steckt einiges zwischen den Zeilen. Als würde sie ihre Kinder quälen, als sei sie egoistisch gewesen und hätte deren Bedürfnisse ignoriert. Und das alles, während ihr Mann teilweise sogar gar nicht zu Hause wohnte und in Ruhe zeichnen konnte.

 

Emshwiller wird sogar sehr direkt und konkret und formuliert es so, dass sie teilweise kaum atmen konnte und das Gefühl hatte, zu ersticken. Die Autorin hielt diesen Vortrag, als ihr Mann bereits verstorben und ihre Kinder alle längst erwachsen waren. Mit etwas Abstand lässt sich so ein Thema bestimmt leichter bearbeiten. 

 

Ich bin von Teilen ihrer Prosa extrem fasziniert - wenn mich auch sicher nicht alles abgeholt hat - und auch von ihrem Leben und ihrer Reflektion als schreibende Mutter. 

 

Heute bespreche ich hier zwei Kurzgeschichten - die zweite und die dritte, die ich von ihr las.

 

No time like the present

(2010, erschienen in: The Year's Best Science Fiction & Fantasy, 2011 Edition)

Diese Geschichte macht umso mehr Spaß, dass ich als Leserin sehr viel früher verstehe, worum es geht als die Erzählerin. 

Fremde Leute ziehen in die Stadt, in die guten Häuser, in die reichen Häuser. Offenbar arbeitet niemand, dafür kleiden sie sich unpassend, tragen seltsame Schuhe, passen sich aber allmählich der Umgebung an. Hierbei bietet uns die Geschichte einige sehr schöne und teilweise unterhaltsame Details. So stellen die neuen Familien zunächst Flamingos vor ihre Türen, geben das aber wieder auf, als sie merken, dass die Einheimischen das nicht machen.

Sie sind alle blond und groß und tragen andere Kleidung, die sie mehr und mehr den Einheimischen anpassen - bis auf die Schuhe. Ich kann nur vermuten, dass diese einfach sehr bequem sind.

Zunächst bleiben die Familien sehr für sich, wenn auch die Kinder die örtliche Schule besuchen und dabei auffallend schlechte Allgemeinbildung haben und es gewohnt sind, Mathe-Aufgaben ganz anders zu lösen. 

Sie haben teilweise eine andere Umgangssprache drauf, die absolut perfekt gewählt ist, beispielsweise sagen sie ständig "Shoe Dad" oder sie rufen sich zu "Evolve!" (das finde ich extrem witzig). Die einheimischen Kinder übernehmen nach und nach die Sprache, als sich der Kontakt intensiviert.

Einiges ist für die neuen Kinder (eigentlich eher im jugendlichen Alter) neu, zum Beispiel der Anblick einer Violine. Oder Schnee. 

Alles kommt ihnen so billig vor und sie haben viel Geld. 

Vieles müssen sie zunächst verheimlichen, wobei es dabei nicht bleibt.

Mir wird schnell klar, dass die Leute aus der Zukunft stammen, und auch der Ich-Erzählerin, die sich mit einem der Mädchen immer mehr anfreundet, wird das klar.

Die Story birgt so viele gute Ideen und Details, dass ich nur begeistert sein kann und außerdem neidisch bin - nicht nur auf die außerordentlich schöne Idee, sondern auch auf die gelungene Umsetzung. Ein absolutes Highlight in der Welt der SF-Kurzgeschichten. Auf so etwas stoße ich nicht oft. Auch deutlich besser als die Kurzgeschichte in der Dangerous-Visions-Anthologie, durch die ich ursprünglich auf diese Autorin aufmerksam wurde.

 

Quill

(2006, erschienen in "Firebirds Rising: An Anthology of Original Science Fiction and Fantasy)

Auch hier gibt es eine weibliche Ich-Erzählerin, Quill. Diese lebt abgeschieden mit ihrer Mutter, ihrem älteren Bruder Tom und lauter "little ones" (jüngeren Geschwistern) mitten im Nirgendwo. Es gibt keine Männer. Es gibt keine Väter, aber es tauchen ständig neue Babys auf, von denen einige weiblich, andere männlich sind.

Die Mutter warnt davor, dass sie sich anderen Menschen nicht zeigen sollen. Tom, der Älteste, hat nicht schon immer dort gewohnt, er kennt die Welt da draußen und erzählt manchmal davon.

Eines Tages verunglückt ein Mann namens Haze in der Nähe ihrer Wohnstätte. Tom und Quill retten ihn und lassen ihn bei sich wohnen, bis sein Knöchel verheilt ist. Haze kann zeichnen und ist begeistert und neugierig, zeichnet Quill und ihre Geschwister und stellt viele Fragen, gibt aber auch viele Antworten.

Als er sich erholt hat, erkundet er gemeinsam mit Tom und Quill den nahe gelegenen Gletscher, dabei stellt sich unglaubliches heraus, das die Andersartigkeit von Quill und ihren jüngeren Geschwistern erklärt. (Tom ist rein menschlich.)

Die Idee ist schön, Noch schöner aber ist es erzählt. Sehr realistisch, trotz des sehr phantastischen Unterbaus.

 

Andere Prosa dieser Autorin

Sehr gut hat mir die Geschichte der Autorin in "Wastelands" gefallen. Ein paar andere Kurzgeschichten aus ihrem Sammelband möchte ich zumindest kurz erwähnen:

"The Library" ist insofern bemerkenswert, dass die Ich-Person männlich ist, man aber deutlich spürt, dass die Meinung der Autorin nicht mit dem erzählenden Ich übereinstimmt.

"I Live With You and You don't Know it" hat mich ein wenig an "Weiblich, ledig, jung, sucht..." erinnert, nur eben mit einer leicht phantastischen Komponente (glaube ich jedenfalls). Das war nicht übel, hat mich aber keineswegs so fasziniert wie die ersten drei Kurzgeschichten, die ich von Emshwiller gelesen habe.

"Josephine" (der Name ist offenbar eine Hommage an Kafka, den sie sehr bewundert) dreht sich um zwei alte Menschen, der Ich-Erzähler ist auch hier männlich. Das Thema berührt leicht den Missbrauch alter Frauen (aber nicht vom Ich-Erzähler!). Das ist sehr authentisch geschildert. Ähnlich wie bei Kindern wird älteren, leicht dementen Menschen so etwas manchmal nicht geglaubt. Wenn ich mir nicht fest vorgenommen hätte, vorerst nichts über Missbrauch zu schreiben, würde ich mich vermutlich gleich an diesem Thema festbeißen, so wichtig finde ich das spontan.

 

Von dem Roman "Carmen Dog" habe ich zwei Kapitel gelesen und brauchte dann eine Pause, weil es mir wirklich einiges abverlangt, so etwas abgefahrenes zu lesen. Da verwandeln sich Tiere allmählich in Frauen (allen voran eine Hündin, die wohl auch die Hauptfigur ist) und Frauen in Tiere (z. B. bissige Schildkröten). Es hat witzige Szenen, ja, aber insgesamt wundert sich die Welt viel zu wenig über diese Dinge, dagegen schreibt Neil Gaiman ja komplett realistisches Zeug. 

Bei "Mr. Boots" geht es um ein zehnjähriges Mädchen mit wirklich sehr zweifelhaftem Zuhause und sehr seltsamer Mutter (und nicht ganz so seltsamer zwanzigjähriger Schwester), die einen Mann im Wald findet, "Mr. Boots", der eigentlich ein Pferd ist.

Beide Romane habe ich abgebrochen, weil sie mir zu phantastisch waren. Vielleicht ein andermal. 

 

Ich bin noch nicht fertig mit dieser Autorin, aber klar ist, dass sie weder ein One-Hit-Wonder ist, noch jemand, die immer ins Schwarz trifft. Was bei 150 Kurzgeschichten ja auch einfach zu schön gewesen wäre. 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Horst Lazak (Donnerstag, 02 September 2021 15:55)

    War mir bisher unbekannt aber ich muss sagen es lohnt sich mehr von ihr zu erfahren.