· 

Zwielicht 17 - das deutsche Horrormagazin

Inhalt

Die Zwielicht lese ich seit zwei Jahren (und hatte daraufhin Zwielicht Classics und eine alte Ausgabe nachgeholt), die neue Ausgabe hat mir ausnehmend gut gefallen.

 

Aus meiner Sicht gab es keinen Ausfall, stilistisch und sprachlich bewegt sich die Kurzprosa auf einem angenehmen bis hohem Niveau, die Plots waren gut durchdacht. Hier findet sich kein Slice of Life oder einer jener Geschichten, bei denen ich das Gefühl habe, sie an anderer Stelle schon ein Dutzendmal gelesen zu haben.

 

Mal hie mal da hatte ich das Gefühl, das Ende hätte pointierter sein können, selbst das ist einigen exzellent gelungen. Zu betonen ist, dass einige Pointen gekonnt vorbereitet wurden, so dass sich eine Ahnung beim Lesen an der richtigen Stelle formte und ich am Ende befriedigt zurückblieb. 

 

Ich nenne mal meine Highlights aus dem Heft, und fairerweise konzentriere ich mich dabei auf die lebendigen Schreiberlinge und lasse bei den Detailbetrachtungen die Übersetzungen ein wenig außen vor. Das Konzept, teilweise alte Storys in Übersetzung zwischen die Neuerscheinungen zu betten, hat mir insgesamt gut gefallen.  

Einige Highlights aus dem aktuellen Heft

Achim Stößer: Qq1apYxm

Eine dichte, professionell erzählte Geschichte zu einem Thema, das ich absolut verachte. Der Autor scheint das ebenso zu sehen wie ich, dementsprechend geht er mit seiner Hauptfigur um, was mir rasch klar wird, so dass ich gern bereit bin, dem Plot zu folgen.

 

Der rote Faden ist klar, hier gerät der Autor in keine Seitengassen und steuert konsequent auf das unvermeidliche, extrem gut vorbereitete Ende zu. Die Pointe sitzt perfekt, der Abschluss der Geschichte befriedigend, der eigentliche Horror setzt in meinem eigenen Kopf ein, sobald ich mit dem Lesen fertig bin.

Das Genre ist hier eher Science Fiction. 

 

Die titelgebende Soldatin Qq1apYxm soll auf einem anderen Planten die Indigenen ausrotten. Sie sind viele, dafür ist sie gut bewaffnet. Das ist nachvollziehbar und gut beschrieben, der Weltenbau ist gelungen, man merkt, da ist ein SF-Autor mit Leib und Seele am Werk.

 

Es ist mir die ganze Zeit klar, dass die Meinung des Autors nicht mit der der Hauptfigur übereinstimmt, fast zu klar, da er überdeutlich ihre Sicht auf die Indigenen zeichnet und klar wird, dass es mit ihr kein gutes Ende nehmen wird und darf. Ich lese weiter, weil ich darauf vertraue, dass der Autor weiß was er tut.

 

Trotzdem ist es schwer zu ertragen, weil es auch heutzutage Literatur gibt, die unreflektiert auf "primitive Indigene" schaut.

Die Soldatin soll diese Welt von den Indigenen befreien, sie befrieden und dabei hat sie ständig abfällige Gedanken, sogar ein in dieser Welt klar abwertendes Wort "Spaghettimonster".

Interessanterweise erschrickt sie sich, dass sie das Wort denkt, aber nicht davor, dass sie hunderte von ihnen abschlachtet. Hier wittere ich eine B-Story, die die Kurzgeschichte noch mal ein paar Stufen anhebt:

Er könnte uns meinen. Ok, genauer: er könnte Leute wie mich meinen. Leute, die das N-Wort meiden und versuchen, inklusiv zu sprechen, nicht abwertend, aber ein T-Shirt für fünf Euro kaufen, wofür am Ende der Welt ein paar hundert Kinder unter schlechten Bedingungen arbeiten müssen (vielleicht ist das der eigentliche Horror hier?). Die Analogie haut nicht ganz hin, weil die Soldatin hier direkt vor Ort andere abwertende Dinge denkt (sich seltsamerweise nur für den Begriff "Spaghettimonster" schämt) und meuchelt ohne Ende.

Ein paar andere Dinge passen aber, so ihre totale technische Überlegenheit.

Das Ende rechtfertigt so einiges, was und wie vorher erzählt wird. Trotzdem ist es nicht ganz einfach zu lesen. Entfernt erinnert mich das an Herz der Finsternis von Conrad. Da war auch klar, dass der Autor etwas anprangern möchte, aber es zu lesen war kaum auszuhalten.

Absolut gelungen. Unbequem. Ich vermute, so war es beabsichtigt. 

 

Erik Hauser: Die natürliche Widrigkeit der Dinge

Diese eher unterhaltsame Geschichte erinnert entfernt an "Mutiger kleiner Toaster" von Disch, abgesehen von den etlichen Unterschieden (Perspektive, Prämisse usw.), vom SF-Gehalt her. Hier ist die Perspektive die des Besitzers der Dinge und nicht die der Dinge, wie bei Disch. 

Aber es ist unterhaltsam, der erste Satz geht so:

"Gestern Abend hörte ich wieder den Toaster und die Waschmaschine miteinander tuscheln"

Es wird angedeutet, dass einige dieser Dinge etwas artificial intelligence in sich haben (AI). Dabei werden die Dinge vermenschlicht, was mehrfach witzig ist:

"Die Ampel tat unschuldig"

"stopfte ich die verderblichen Lebensmittel ins offene Maul des Kühlschranks"

An einer Stelle ist von einer Alieninvasion die Rede, wenn das wohl hier nur Internet-Schwurbelei darstellen soll, keine reale Invasion.

Einmal wird sogar fast die vierte Wand durchbrochen "ob ihr das in einer Zeitung, einer Zeitschrift oder im Zwielicht lest:" (wäre Zwielicht hier nicht kursiv, es wäre zweideutig)

Die letzte Szene könnte man als Horror lesen, aber (ähnlich wie bei Achim Stößer) ist es quasi nur die Pointe und das meiste findet in meinem Kopf beim Lesen statt. Ansonsten ist es mehr SF als Horror.

 

Mary Ann Dark: Das Geschenk

Das Thema um die Kamera hat mich ein klein wenig an eine Kurzgeschichten von King erinnert (obgleich es etliche Unterschiede gibt). 

Die Ich-Erzählerin und ihr Mann Uwe werden von der Kamera, die sie loswerden wollten (und auch zerstört hatten!), erneut heimgesucht. Dass es sich nicht um ein eher harmloses Problem handelt, wird auf Seite 2 klar "Es hatte genug Tote gegeben".

Tote? Wegen einer Kamera? 

Gekonnt wird hier aufgebaut, was es mit der Kamera, und, vor allem, mit ihren Bildern auf sich hat. Dies wird rasch klar (vielleicht ein wenig zu rasch, man hätte mich ruhig noch ein bisschen rätseln lassen können). 

Die Lösung - siehe Titel - besteht darin, jemandem die Kamera zu schenken. Aber wem?

Die Pointe sitzt, ich musste es zweimal lesen, dann hatte ich es begriffen. Arg! Das ist fies. 

 

Nele Sickel: Alina

Der Autorin gelingt es effektiv, den Ich-Erzähler unsympathisch zu machen, ohne dass er etwas davon merken würde. Textstelle:

"ich bin ja nicht schwul oder so"

Der Aufbau des Texts ist bemerkenswert. Der Erzähler verrät mehr und mehr über sich, so dass ich mir beim Lesen ein immer vollständigeres (und düsteres) Bild von ihm machen darf. Er verrät Dinge, die er in der Vergangenheit seiner Schwester Rebecca angetan hat, selbst stellt er das nicht in Frage, das dürfen wir beim Lesen machen. Genauso habe ich das gern. Mir wird etwas erzählt, meine Meinung bilde ich mir selbst, wobei die Autorin gezielt manipulativ tätig ist und genau weiß, wo sie mich haben möchte.

Einige Stellen sind heftig und eindeutig, trotz der literarischen Auslassungen:

"Was ist eigentlich aus Max geworden? Wo steckt er wohl heute? Ab wie viel Jahren ist man zu alt für den Jugendknast?"

Das wird zwar klar formuliert, aber wer Max war und warum er im Knast landete, wer in Wahrheit schuldig war, das steht zwar nicht da, ist aber leicht kombinierbar und beim Lesen sehr befriedigend.

Erstaunlich die Vorurteile des Ich-Erzählers, nicht nur gegen Schwule, offenbar auch gegen Streber. 

Die Pointe habe ich vielleicht zu früh kommen sehen, das mag an meiner Lese-Erfahrung liegen, ich hatte zufällig einige ähnliche Geschichten gelesen. Nichtsdestotrotz, eine exzellente Lese-Erfahrung!

 

Tobias Lagemann: Unter diesem Hügel

Ich-Erzähler Hank hat ein Talent, und danach wird hier gefragt. Klassischer Horror, der in einer Welt spielt, die sich zwar nicht wie 2022 anfühlt, es aber sein könnte (immerhin hat Hank ein Smartphone). Die Atmosphäre überzeugt, die Art zu erzählen ebenfalls.

Hank kann die Vergangenheit sehen. Von einem Fremden wird er zu den Minen gelockt, dorthin, wo einst der Krieg tobte.

Viel Dialog, und beeindruckende Beschreibungen der Umgebung:

"Da waren nur wir erstarrt daliegende Bäume, schimmernde Stämme, Birken zumeist, und nachdrängendes Unterholz." 

Ich mag es, wenn eigentlich statische Dinge mit aktiven Verben versehen werden. Ein wenig hat mich die Atmosphäre an Stalker / Picknick am Wegesrand erinnert, obwohl es ja um etwas komplett anderes geht.

Auch hier ist der Schluss beeindruckend. Nah am klassischen Horror.

 

 

Karin Reddemann: Fichtennadel

 

Darüber kann ich kaum schreiben, ohne zu spoilern. Diese Geschichte ist hervorragend, der Schluss ist auch rund, ich hätte mir nur ein klareres Ende gewünscht, aber vielleicht wollte man nicht das Ende nehmen, das ich erwartet hätte. Immerhin ist es so sehr rund und offener, was dem Grusel definitiv zuträglicher ist und manche Geschichten sollten einen vielleicht auch nicht komplett befriedigt zurücklassen.

Die Geschichten/Filme/Romane, an die mich der Plot erinnert, sind zahlreich, aber dennoch gelingt es der Autorin, ihren eigenen Dreh zu finden, der dem sehr bekannten Thema noch etwas hinzufügt, und zwar in Form der Plastikfrau Helga. Vor allem, weil auf Helgas gutem Geruch so fokussiert wird, was später noch eine ganz neue Bedeutung gewinnt.

Ich wurde womöglich ein paar Seiten zu früh, was hier genau los ist, vielleicht, weil ich hier früh daran gewöhnt wurde, wie literarisch der Stil ist. 

Ein paar Dinge aus der Vergangenheit von Edgar, der Hauptfigur, sind etwas zu krass (der Versuch des Vaters, ihn in der Wanne zu ertränken, das nicht-onanieren-dürfen), anderes wird nur angedeutet.

Sekundärliteratur

Richtig gruselig fand ich die Schilderung des Kannibalismus aus Not im Essay von Achim Hildebrand. Da habe ich mehrfach überlegt, ob ich das wirklich vor dem Einschlafen lesen sollte, hatte es dann aber doch gewagt. Die Schilderungen sind mir sehr unter die Haut geklettert.

Der Artikel von Karin Reddemann zum Serienkiller Son of Sam war kaum weniger entsetzlich. Die Sekundärliteratur steht ja eigentlich nicht so in meinem Fokus, in der Zwielicht sind diese aber für mich oft ein Highlight. 

 

alle Geschichten

Prosa:

Christian Blum: Arsénique

Erik Hauser: Die natürliche Widrigkeit der Dinge

Algernon Blackwood: Traumpfade

Anita Cyprowski: Der Mann ihrer Träume

Eleanor Scott: Der Volkstanz

Nele Sickel: Alina

Emiil Petaja: Die Aussichtsplattform

Tobias Lagemann: Unter diesem Hügel

Karin Reddemann: Fichtennadel

Arthur Machen: Folter

Mary Ann Dark: Das Geschenk

Thorsten Scheib: Ein besonderes Näschen

Maurice Level: Babel

Jo Piccol: Trial & Error

Achim Stößer: Qq1apYxm

 

Artikel:

Achim Hildebrand: Die Donner Party 

 

Karin Reddemann: Die dunkle Muse: Die tragische Legende, der "Son of Sam" und Böses vom König

Wie bin ich zu dem Buch gekommen?

Ich lese die Zwielicht seit zwei Jahren eigentlich immer, manchmal nicht ganz vollständig, hatte aber die letzte Ausgabe (Zwielicht 16) nicht rezensiert.

Über die Zwielicht

Verfolgungsmöglichkeiten, was ich sonst noch so gelesen habe, was ich noch lesen werde.

Harte Fakten

Titel Zwielicht 17 
herausgegeben von Michael Schmidt, Achim Hildebrandt 
Verlag Selbstverlag 
Erscheinungsjahr 220 
Seitenzahl 280 
Anzahl Geschichten 15 
Original Twitter Tweet https://twitter.com/Rezensionsnerd1/status/1544979989623349248 
Inhalte von Powr.io werden aufgrund deiner aktuellen Cookie-Einstellungen nicht angezeigt. Klicke auf die Cookie-Richtlinie (Funktionell und Marketing), um den Cookie-Richtlinien von Powr.io zuzustimmen und den Inhalt anzusehen. Mehr dazu erfährst du in der Powr.io-Datenschutzerklärung.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0