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Das Jesus-Video von Andreas Eschbach

Harte Fakten

Titel Das Jesus-Video
Autor*in Andreas Eschbach
Erscheinungsjahr 1998
Seitenzahl 701
Länge Hörbuch 20 Std. 20 Minuten
Sprecher*in Matthias Koeberlin

Inhalt

Abgesehen mal von einer Kurzgeschichte in einer Anthologie ist das mein Erstkontakt zu Andreas Eschbach. Nun, so ganz stimmt das nicht, ich las vor etwa zwanzig Jahren seine Tipps für Autor*innen in der Zeitschrift Tempest, die von Hans-Peter Roentgen herausgebracht worden ist.

 

Die Geschichte ist solide und spannend, gut erzählt, die Charaktere sind plastisch und die Idee ist phänomenal gut. Die Idee ist das, worauf ich hier den Fokus bei meiner Lobeshymne legen möchte: So gut auch die Ausgangsidee ist, er holt da einiges heraus, die ist absolut nicht verschenkt.

 

Ein wenig erinnert mich die Grundkonstellation an einen Roman von Michael Crichton, Timeline. Das beginnt auch bei einer Ausgrabungsstätte und auch dort findet jemand etwas (wenn auch nicht in einem Grab), das dort nicht hingehört - und aber offenbar tatsächlich so lange dort liegt, also nicht eingeschmuggelt oder verunreinigt ist. Damit hat es sich dann aber schon mit den Gemeinsamkeiten. Während bei Timeline daraufhin wild zeitgereist wird - auch spannend - bleiben die Charaktere beim Jesus-Video schön in der Gegenwart.

 

Ich kann dem herrlich zuhören. Ich springe durch die Köpfe und bekomme die verschiedenen Standpunkte mit, die Sicht ändert sich mit jedem Kapitel. Einzig für Judiths Sicht möchte ich einen Minuspunkt geben. Judith ist eine israelische Powerfrau mit Armee-Erfahrung, super durchtrainiert, taff. Da möchte ich nicht hören, dass sie sich darüber ärgert, in keinem Mann den Beschützerinstinkt zu wecken. Heute würde der Autor das vielleicht auch nicht mehr so darstellen, immerhin ist der Roman zweiundzwanzig Jahre alt und zumindest in meinem Kopf hat sich Punkto Feminismus einiges getan - ich bin ganz froh, dass meine Werke der späten Neunziger nicht veröffentlicht wurden, die wären noch viel weniger feministisch und empowerend. Allerdings gibt es aus Judiths Sicht auch kaum mehr als zwei Kapitel, sonst bewegt sich der Autor ausschließlich in männlichen Köpfen und Judith ist auch die einzige Frau, die im Roman eine größere Rolle spielt. Den Bechdel-Test besteht der Roman daher natürlich nicht.

 

Es ist zwar kein Pageturner mit Cliffhanger am Ende eines jeden Kapitel mit lauter Spannungskurven, von denen immer mindestens drei "aktiv" sind wie bei "Säulen der Erde" (auch das einzige Werk, das ich je las, das so war), aber es ist kontinuierlich spannend. Weiterhin möchte ich positiv hervorheben, dass es zwar in dem Roman von Charakteren nur so wimmelt und viele davon auch gut zu Wort kommen, indem ihre Sicht dargestellt wird, sie aber alle unterscheidbar und auch alle unterschiedlich sind. Ich weiß jederzeit, wem ich da folge. Der Autor hat ein Talent dafür, seinen Lesenden zu ermöglichen, sich jederzeit zu orientieren.

 

Ich schätze es außerdem, dass er aus der Suche nach dem Jesus-Video so eine Art Jagd gemacht hat. Das ist auch pfiffig insofern, dass einer der beiden Gruppen immer Steine in den Weg gelegt werden können, sie sich gegenseitig beklauen und belügen können, so dass es keine Plotholes gibt. Natürlich ist mir klar, für welche der beiden Gruppen mein Herz schlägt, aber auch in der "antagonistischen Gruppe" gibt es Charaktere, mit denen ich mich identifizieren kann. Keine Frage: Eschback ist lesenswert. Außerdem kann man von seinen Romanen mindestens so viel lernen wie von seinen Autor*innentipps.

 

Ungefähr nach sechzehn von zwanzig Stunden hat der Roman für mich eine Länge, die sich für mich sehr zieht. Ungefähr so wie Frodo und Sam, die ewig durch das trostlose Mordor irren, sind hier zwei Figuren in der Wüste unterwegs. Danach nimmt es aber wieder Fahrt auf und den Schluss finde ich sehr schön rund und klug gelöst.

 

Bei amazon habe ich entdeckt, dass es natürlich sogar hier Menschen gibt, die komplett anderer Meinung sind als ich und dies auch gut begründen. Das kann ich erstaunt betrachten und mich dann fragen: Was haben die denn erwartet? Das ist ein solider Abenteuerroman, nicht Solaris von Lem. Wir können und wollen doch nicht alle wie Lem sein. Eine Vielleserin wie ich schätzt die Abwechslung, in meinem Leben will ich beide: Lem und Eschbach.

 

Schön für mich: Die Restauration von Papier, die Überlegungen, wie lesbar ein zweitausend Jahre altes Video wohl ist - genau mein Ding als Bibliothekswissenschaftlerin mit Schwerpunkt digitale Langzeitarchivierung.

2014 bin ich selber in Jerusalem gewesen, inklusive Flughafen Tel Aviv und der alten Stadt. Beruflich, nicht als Touristin. Das macht das Setting für mich umso spannender.

Schön auch die gründliche Recherche des Autors um all die feinen Details und die respektvolle Darstellung von Religion. Ich denke, dass man auch als Mensch jüdischen, muslimischen oder christlichen Glaubens gut lesen kann (wobei vielleicht nicht unbedingt, wenn man keinerlei Kritik der katholischen Kirche verträgt). Ich als Atheistin kann es jedenfalls ganz gut.

 

Als nächstes stürze ich mich auf NSA - das klingt auch extrem spannend! Diesmal als Buch zum Lesen. Schon gekauft!

 

Trivia

Donald Trump erwähnt, der Ende der Neunziger offenbar gerade pleite und weg vom Fenster war. In zwei Jahrzehnten kann offenbar viel passieren.

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