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Die wandernde Erde von Cixin Liu

Harte Fakten

Titel Die wandernde Erde
Autor*in Cixin Liu
Erscheinungsjahr 2000
Seitenzahl 688
Länge Hörbuch 17 Stunden und 28 Minuten
Sprecher*in Mark Bremer
Anzahl Geschichten 11

Inhalt

Fazit für Eilige

Ich hatte in der Quarber Merkur Rezensionen zum Werk von Cixin Liu von Franz Rottensteiner gelesen. Der hatte die ziemlich auseinander genommen. Ich fand das unterhaltsam zu lesen und auch sehr überzeugend. Andererseits schwärmt ja gefühlt die halbe Welt von Cixin Liu, unter anderem der von mir sehr bewunderte Ken Liu, der im Englischen auch sein Übersetzer ist. Neugierig las auch ich also mein erstes Cixin-Liu-Buch und kann nun beide Standpunkte wundervoll nachvollziehen.

 

 

Ja, es ist absurd. Teilweise sogar völlig unnötigerweise. Nasenhaare bei Dinosauriern kann ich mir ja noch vorstellen, aber schwitzende Dinos? Da wacht tatsächlich ein Dino nicht schweißgebadet auf! Dass Dinos und Ameisen keine Pläne schmieden können, ist vermutlich auch richtig, aber ohne dieses Verhalten gäbe es keine Geschichte, daher kann man das schlecht ändern.

 

Cixin Liu ist verdammt phantasievoll und den Plot und die Ideen hinter den meisten Geschichten finde ich krass gut. Aber fast immer muss sogar ich ein wenig grinsen aufgrund der Absurdität - und dass, obwohl ich, im Gegensatz zu Rottensteiner, bei SF und Phantastik im Allgemeinen so einiges gelten lasse. Außerdem versäumt Liu es oft, eine Nähe zwischen mir als Leserin und seinen Figuren entstehen zu lassen. Viel wird auch einfach aufgezählt, statt spannend zu verpacken. Hätte er seine guten, phantasievollen Ideen besser verpackt, ich hätte sie vielleicht auch besser geschluckt.

 

Es wird sich oft sehr lange unterhalten, quasi im "luftleeren Raum", also ohne, dass die Umgebung irgendwie beschrieben wird. Lange Dialoge, eigentlich sogar Monologe, ohne "Beiwerk" sind ebenso typisch wie straffe Zusammenfassung von Handlung oder physikalischen Überlegungen. Ob die immer richtig sind, kann ich schwer beurteilen, oftmals klingt es logisch, genauso oft nicht. Selten wird mal eine Szene beschrieben. Seltsamerweise beschreibt er in einer Kurzgeschichte sehr plastisch, wie jemandem die Beine abgesägt werden, bis hin zum rieselnden Knochenstaub. Das hätte ich mir gern erspart.

 

Schwierig finde auch ich die Idee, Australien in eine Art Auffanglager für den Rest der Menschheit zu verwandeln, zumal der Kontinent als unattraktive Wüste dargestellt wird. Außerdem sind seine Charaktere fast alle sehr eindimensional und eignet sich selten für mich zur Identifizierung.

 

Eines ist aber sicher: Wenn ich meinen Horizont erweitern wollte, ist das gelungen. Zwar reicht keine dieser Stories an jene Kurzgeschichte von ihm in Broken Stars heran (die war extrem super), aber alle sind schon aufgrund ihrer Andersartigkeit lesenswert und interessant. Trotz der Längen.

 

Die wandernde Erde

Die Idee dahinter hat mir so gut gefallen, dass ich den Anfang gleich zweimal gehört habe. Die Sonne wird sich ausdehnen und die Erde zerstören (und auch die anderen sonnen-nahen Planeten). Die Menschheit hat das rechtzeitig errechnet und möchte fliehen. Mit der ganzen Erde. Hat man diese absolut unglaubwürdige Idee erst einmal geschluckt, klingt der Rest auch wissenschaftlich sehr plausibel. Es dauert zweiundvierzig Jahre, die Erdrotation zu bremsen. Auf der Nordhalbkugel in China, auf der der Ich-Erzähler lebt, gibt es keine Nacht. Nur Tag. Klar. Die Erde dreht sich nicht mehr. Die Einheitsregierung baut einen Antrieb und nach dem Ende der Bremsjahre geht's los. Ziel: Umlaufbahn in Proxima Zentauri. Dauer: 100 Generationen.

Das Ende der Erdrotation und die Bewegung der Erde hat allerlei Auswirkungen auf das Klima, die sehr plastisch und überzeugend dargestellt werden. Das war spannend zu lesen. Am Ende gibt es dann eine unerwartete Wendung und sogar eine Art Pointe. Eine der besten Stories im Buch. Ich schau mir gern demnächst den Film an.

 

Gipfelstürmer

Was würdest du tun, wenn du nur noch eine Woche zu leben hast? Klar, der Gipfelstürmer erklimmt einen besonders herausfordernden Gipfel. Und unterhält sich mit Außerirdischen, die ganz anders sind als wir. Hier ist es Liu jedenfalls rechtzeitig gelungen, Nähe zum Protagonisten herzustellen durch eine einschneidende Szene aus der Vergangenheit. Das macht die Geschichte dann fast noch wertvoller als die dahintersteckenden Ideen. Das Ende war sehr schön. Sehr lebensbejahend.

 

Das Ende der Kreidezeit

Die Geschichte ist einfach nur witzig. Ameisen und Dinos bilden eine Allianz. Die Dinos sind zu riesig und grobmotorisch, würde alles so groß gebaut (z. B. Maschinen), dass ihre dicken Greifer sie bedienen könnten, sie würden zu viele Ressourcen verbrauchen. Ameisen hingegen sind nicht so kreativ. So bildet sich innerhalb von 50.000 Jahren eine gut funktionierende Gesellschaft, in der die einen von den anderen abhängig ist. Dies gerät in Gefahr, als die beiden Dino-Gesellschaften, die auf Gondwana und die auf Laurasia, sich gegenseitig mit einem Atomkrieg bedrohen. Die Ameisen wollen verhindern, dass die Welt vernichtet wird.

Es entsteht durchaus Spannung, auch wenn ich diesmal über das Ende meckern muss: Eine bessere Idee gab es dazu also nicht? Nun gut.

 

Die Sonne Chinas

Ich brauche dreißig Minuten, um reinzukommen. Erst als der Protagonist in Peking als Gebäudereiniger eine gefährliche Arbeit an den Außenseiten von Wolkenkratzern beginnt, bin ich voll dabei.

Der Titel hatte mich gewundert, wieso die Sonne Chinas? Gehört die Sonne nicht allen? Dann wird aber bald klar: Es geht nicht um die bekannte Sonne, sondern um eine künstliche Sonne, die über China hochgezogen wird und das Klima beeinflusst, so wie wir das gern hätten.

Die Pointe hat mir sehr gut gefallen und sie war außerdem auch tatsächlich überzeugend und nicht komplett absurd. Oh ach so, die Story war noch gar nicht zu Ende. Das liegt an der schlechten Ausschilderung des Hörbuchs! Es geht weiter. Stephen Hawking kommt vor und am Ende wird es noch einmal richtig sf-mäßig und phantasievoll. Sehr schöne Story.

 

Um Götter muss man sich kümmern

Diese Idee ist sehr originell. Die Götter, die vor 3,5 Milliarden Jahren Leben auf der Erde gepflanzt haben, kommen nun zurück (für sie sind lediglich 2000 Jahre vergangen, da sie weit weg unterwegs waren in ihren Raumschiffen) und wollen mit uns leben. Die Biosphären auf ihren Schiffen sind nämlich langsam müde.

Nun müssen 2 Milliarden echt alte Götter auf die Familien der Welt verteilt werden. Greise, die nicht mehr arbeiten können, aber durchaus essen möchten. Well. Das riecht nach Ärger.

Es geht dann auch auf eine sehr verständliche Art und Weise weiter, wobei einige Figuren etwas schärfer angerissen werden. Am Ende wird es dann noch richtig phantasievoll und der Schluss ist sehr gelungen.

 

Fluch 5.0

Fluch 1.0 war nur eine böse Ex-Freundin. Wahnsinn, hier kommt ein deutsches Lied (Die schlesischen Weber) als Metapher vor. Wenn Liu sich so gut mit deutscher Lyrik auskennt, muss ich dringend mehr über chinesische Literatur lernen!

Das ist nicht die richtige Lektüre für diese Zeit des Corona-Lockdowns, in der die Suizidrate steigt. Kurz war ich versucht, abzubrechen. Doch die Geschichte ist recht kurz und der Ton ist die ganze Zeit über heiter gehalten, die Beschreibungen der (massiv bösen) Auswirkungen der Flüche sehr neutral und nicht so, dass meine Empathie dabei groß angesprochen wird.

Das Ende ist gelungen. Die DOS-Metapher ebenfalls. Man stelle sich den Befehl " delete *.*" vor. Der löscht jede Datei. Arg!

Cixin Liu kommt selber in dieser Geschichte vor, streng genommen sogar als Bösewicht. Der Humor geht durchaus nicht an mir vorbei.

 

Das Mikrozeitalter

Das geht in eine ganze andere Richtung, als ich es zunächst vermutete. Der Anfang ist nicht neu: Die Sonne wird 5% verlieren, in 18.000 Jahren wird es daher auf der Erde zu einer Klima-Katastrophe kommen, die die Menschheit wohl nicht überleben wird. Ein Raumschiff, "Arche 1", zieht los, um einen alternativen Planeten zu finden. Soweit beliebtes Thema in der SF, sehr beliebtes Thema bei Cixin Liu.Man findet keine, irgendwann ist die gesamte Besatzung tot, bis auf einen. Dieser kehrt zurück. Auf der Erde sind 25.000 Jahre vergangen (er war meistens mit Lichtgeschwindigkeit unterwegs) und die Sonnen-Katastrophe liegt daher bereits in der Vergangenheit. Was er da auf der Erde findet, ist durchaus originell und fast zu Ende gedacht (ich habe tatsächlich nur eine Ungereimtheit entdeckt, ansonsten kann ich Idee und Ausführung nur bewundern). Eine sehr positive und lebensbejahende Geschichte.

 

Weltenzerstörer

Die Geschichte war vergleichsweise langweilig. Zwar ist es witzig, dass die Ameisen und Dinos aus "Das Ende der Kreidezeit" noch einmal aufgegriffen werden - wer alle Stories hört, wird hier definitiv mit Querverweisen belohnt - aber insgesamt ist weder der Plot sehr originell noch haben mich die Personen besonders gefesselt. Es gab mal hier mal da interessante Szenen und ich fand die Idee sehr gut, den Mond als Waffe zu benutzen.

 

Die Versorgung der Menschheit

Hier bräuchte es ein paar Trigger-Warnungen wie: Verstümmelung, Verstümmelung von Kindern und brutale Morde. Die Story fällt daher sogar ein wenig aus dem Rahmen dieser Anthologie.

Diese Geschichte spielt ein paar Jahre nach "Um Götter muss man sich kümmern". Es werden sogar einige bereits bekannte Personen erwähnt. Für mich nicht ganz einfach, da ich nicht alle Stories hintereinander gehört habe und mich nicht mehr so frisch erinnere. Der Protagonist ist ein Serienkiller. Die Rückblicke zu seiner Ausbildung sind höchst unterhaltsam, so zum Beispiel, dass er zunächst englische Literatur studierte. Die Ausdrücke, die verwendet werden wie "langsam abkühlen", wenn jemand einen langen Todeskampf haben soll, sind originell und passend. Es ist die spannendste Geschichte, wenn sie auch stellenweise aufgrund der Brutalität nicht leicht zu ertragen ist. Der Bezug zur SF wird erst im letzten Drittel klar.

 

Durch die Erde zum Mond

Auch diese Geschichte ist nicht frei von Spannung. Als ob der Autor erst im letzten Teil der Anthologie zur Höchstform aufliefe und mich als geduldige Zuhörerin dafür entschädigt, mich durch ein paar eher langatmige Zusammenfassungen interessanter, aber mäßig spannender Ideen gehört zu haben.

Hier steht ein Sohn vor einer heftigen Entscheidung: Sein Vater hat Leukämie und muss in den Kälteschlaf versetzt werden, bis es eine Heilung gibt. Der Sohn muss sich entscheiden, ob er mitkommen möchte oder in der Jetzt-Zeit bei seiner Mutter bleiben (offenbar dürfen sie fieserweise nicht alle drei in den Kälteschlaf, ist auch sehr teuer, so etwas). Der Sohn entscheidet sich bei der Mutter zu bleiben.

Als der Vater 74 Jahre später wieder erwacht, sind beide tot - und er soll für die Sünden seines Sohnes büßen, da seine wissenschaftlichen Ideen dafür die Initialzündung waren.

Die Idee, einmal durch die Erde zu graben bis zur Antarktis, ist auch - nun ja. Interessant.

 

Mit ihren Augen

Diese recht kurze Geschichte am Ende hat es noch mal in sich und ist verhältnismäßig wenig absurd und bleibt in einem klaren Rahmen. Der Protagonist macht Urlaub gemeinsam mit den Augen einer Frau (hierfür dient eine Art Brille, durch die sie sehen kann was er sieht und sich auch mit ihm unterhalten kann), die vermeintlich im Weltraum ist. Als Leserin ahne ich aufgrund bestimmter Details schon, dass da etwas nicht stimmt, was zum Schluss auch enthüllt wird. Eine sehr gut gemachte Kurzgeschichte mit der fast schon zu klaren Prämisse, dass wir die Welt um uns herum genießen sollten, so schön und abwechslungsreich wie sie ist. 

 

Sprecher

Mark Bremer macht seine Sache sehr gut. Manchmal meine ich fast, einen leichten ironischen oder amüsierten Unterton herauszuhören. In den wenigen szenischen Passagen dreht er manchmal vielleicht ein wenig zu sehr auf - vielleicht, weil er schon ausgehungert ist aufgrund der vielen Beschreibungen, Zusammenfassungen und Schilderungen ohne direkt erlebbare Action.

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