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Urban Fantasy going queer herausgegeben von Askin-Hayat Dogan und Sarah Stoffers

Inhalt

Queerness ist diverser als ich dachte" Begriffe wie Aro-Spektrum und Ace-Spektrum musste ich googeln. Cool ist, dass in deiner der Geschichten jemand als "stockhetero" bezeichnet wurde.

 

Die Figuren sind schon aus zwei Gründen extrem divers: Aufgrund ihrer phantastischen Herkunft und/oder eben ihrer Queerness.

 

Übrigens, den Begriff "Manspreading" kann ich nicht, wieder was gelernt.

 

Ganz abgesehen mal von einigen phantastischen Wesen, die ich im Detail so auch noch nicht (in Prosa) erlebt habe.

 

Aufgefallen ist mir, dass einige Geschichten keine wirklichen keinen Spannungsbogen haben. Gut geschrieben sind alle - vermutlich war das Lektorat sehr gründlich oder eben die Autor:innen oder (was am wahrscheinlichsten ist), beide. Nur oftmals erhalten wir quasi nur einen Einblick in das Leben der Protagonist:innen. Fast so, als hätten einige Stories das Genre "Slice of Life", so wie in der Anthologie "damit". Andere Geschichten bieten aber auch einiges an Action (oder leichten Krimi-Touch) oder sogar sehr coolen Twists oder bösen Pointen.

 

Plus, es finden sich immer wieder Stellen, die mich sehr zum Grinsen bringen, wie in "Ein neuer Traum" von Juliane Seidel: "Du solltest dich zurückverwandeln, bevor dich jemand sieht. Das Letzte, was wir gebrauchen können, sind Handyaufnahmen von einem Tiger im Internet." Und das ist es auch, was für mich persönlich Urban Fantasy so reizvoll macht - oftmals gelingt die Verquickung von Phantasie und meiner Lebenswirklichkeit so originell, dass ich nur noch grinsen muss.

 

Fazit: Horizont erweitert, Spaß gehabt!

 

Die erste Story des Bandes, die mir sehr gut gefallen hat, ist Lockfrequenzen von Iva Moor. Vor allem weil die Geschichte in eine überraschende Richtung ging. Sie blieb nicht nur auf der menschlich-romantischen Ebene, sondern hatte mehr als nur einen Hauch Krimi. Außerdem waren die Szenen in der Karaoke-Bar einfach herrlich atmosphärisch.

Da ich für das Lesen der gesamten Anthologie eine Weile gebraucht habe, hatte ich direkt nach dem Lesen via twitter Feedback verfasst.

 

Party-Gespräche von Jenny Cazzola wollte ich gerade als relativ ereignisarm bezeichnen, dann fiel mir auf, dass ja eigentlich genau das drin ist, was auch draufsteht. Zwar fühlte ich mich mal hier mal da etwas sehr ausgebildet, was Demisexualität und Asexualität betrifft, aber machen wir uns nichts vor: Ich muss auch ausgebildet werden. Ich habe zu wenig Ahnung davon.

Plus, die Dialoge in dieser Story sind einfach toll. Da unterhalten sich eine Sukkuba ("Dämon der Liebe, der Leidenschaft und blablabla") und ein Shifter (ein Wolfswandler) über Romantik und Liebe. Ein paar schöne Momente aus den Dialogen:

"Was machst du hier?" "Ich trinke."

"Tennessee. Das ist doch bekannt für ... Um ehrlich zu sein, habe ich keine Ahnung, wofür Tennessee bekannt ist."

Die Autorin war übrigens auch schon bei "Urban Fantasy: Going intersectional" dabei.

 

Stone Butch Muse von Elea Brandt hat mir extrem viel Spaß gemacht. Die Story hat einfach einen guten Ton, richtig gut. Da merkt man auch (wenn man schon anderes von Elea gelesen hat), dass hier mehr als nur ein Erzählstil beherrscht wird. 

Einige Stellen muss ich einfach zitieren - hier stellt sich das erzählende Ich vor:

"Hi, ich bin Melete, meine Pronomen sind sie/ihr und ich bin eine Muse."

Eine depressive, alkoholabhängige Muse, um genau zu sein.

Später outet sich die Muse noch mehr - aber nur bei uns Leser:innen:

Sex ist eh nicht so mein Ding und Männer auch nicht. Ich bin eine Stone Butch Muse. 

Meletes (Mels) Problem ist, dass sie oft die Muse von marginalisierten Personen war, Frauen, Natives, queeren Leuten, Menschen, die früh gestorben sind. Daher blieb der Erfolg aus. Der jahrhundertelange Frust hat aus ihr eine Alkoholikerin gemacht, weshalb sie nun einen Entzug macht. Dabei jedoch trifft sie eine vielversprechende Künstlerin.

Sprachlich und vom Stil her ist das definitiv meine Lieblingsstory. Alleine schon so Sätze wie:

"Die Erregung flirrt in meinen Fingerspitzen, ich kann kaum die Kaffeetasse halten."

Sprachliche Kreativität meets nachvollziehbaren Alltag.

Übrigens, wozu eine Muse geboren ist: "Inspirieren. Ermächtigen. Empowern." 

Eine tolle Hauptfigur, der ich gern gefolgt bin.

Kurzfeedback bei twitter, da ich doch recht lange und immer mal wieder in dieser Anthologie lese.

 

Kevins verhexter Montag von Martin Gancarczyk trifft genau meinen Humor. Da habe ich beim Lesen doch oft ziemlich gegrinst. Hauptfigur ist eine Hexe (eine männliche übrigens - Zitat: "Sind Hexen nicht üblicherweise Frauen?"), die es schon ziemlich lange gibt und die inzwischen als Kevin in Australien tarnt und einen Surfshop hat. 

Ich lerne, dass man Hexen nicht einfach so verbrennen kann.

"Das einzige wirksame Hilfsmittel gegen uns ist, unser Herz in Salz einzulegen und zu vergraben. Alternativ im Meer zu versenken oder ins All zu schießen - was im 17. Jahrhundert aber Hexenwerk gleichgekommen wäre, vermute ich."

Wenn man wissen will, was mich zum Lachen bringt. Z. B. sein Zetern gegen Vampire, das mit folgendem Satz abschließt:

"Der Gestank eines Vampirs geht ungemein schwer aus der Kleidung raus."

Na, da bin ich aber froh, dass es bei der Twilight Verfilmung noch kein Riechfernsehen gab.

Ich wollte dem Autor auf twitter folgen, aber er hat "nur" eine Webseite.

 

Fragen Sie Dr. Fichte! von Jasper Nicolaisen

Diese Story beschreibt etwas mehr ein besonderes Ereignis im Leben des "alten, schwulen Zauberers" und etwas weniger seinen Alltag - den aber auch, vor allem am Anfang. Mir hat die Sprache und der Stil der Kurzgeschichten außergewöhnlich gut gefallen, ich hätte auch noch ein paar Stunden weiterlesen können. 

Zu Beginn der Story beobachtet die Hauptfigur einige Jugendliche, die auf dem Lidl-Parkplatz nebenan mit einer Beschwörung beschäftigt sind. Allerdings nicht den aktuellen Corona-Bestimmungen konform: "Masken tragen sie natürlich schon, aber halt Ritualmasken, und keinen Mund-Nasen-Schutz".

Er kümmert sich zunächst um sich selber und zeigt sie nicht an, wenn er sich auch darüber wundert, "dass alles immer gleich gestreamt werden muss". Die Perspektive ist ziemlich herrlich. Dann geht er in den Park, sucht nach Sex, landet aber bei einem Schwulen, der auf einem Penis beim Liebesspiel besteht und den lässt er sich "aus Prinzip nicht" anhexen.

Dann geht die eigentliche Handlung los, wieder zurück in seiner Wohnung steht ein Dämon mit einem Problem vor der Tür und winkt mit toller Bezahlung: Zwei Jahrzehnte Leben.

Die Figur macht sogar eine Entwicklung durch. Da ist auf sehr wenig Platz ziemlich viel drin.

 

"Nichts einfacher als das" von Leni Wambach

 Diese Geschichte ist nicht frei von Humor und ich habe eine Menge witziger Sätze markiert. 

Beispielsweise: "Wir stehen mitten in einem prähistorischen Wald und eventuell werden wir gleich von Dinosauriern gefressen, aber Hauptsache, das Telefonnetz funktioniert noch"

"Für eine Druidin bist du sehr ungeduldig. Guckt ihr nicht den Bäumen beim Wachsen zu?"

(Wer sich fragt, was da los ist - nur ein Teil der Wirklichkeit wurde in einen prähistorischen Zustand zurückversetzt, da ist eine Nekromantin und eine Druidin am Werk.)

Die Liebesgeschichte ist hier ziemlich zwischen den Zeilen, rundet aber den phantastischen Plot gut ab. Und: Das hier ist keinesfalls vom Genre "Slice of Life"!

 

Geistergeschichte von Lena Richter

"Alles, was ihr über Geister gelernt habt, ist falsch". Das erzählende Ich ist hier ein  Medium, aber nicht so, wie ich vielleicht denke. Es ist leicht near future, was hier angedeutet wird:

"hätten wir noch Facebook, stünde unser Beziehungsstatus auf es ist kompliziert"

Die Geschichte spielt in Leipzig und gehört zu denen, bei der ich die Urban Fantasy besonders deutlich spüre.

Das erzählende Ich gibt sich hier viel Mühe, den Geistern zu lauschen - und erfährt dabei nicht nur persönliches, sondern auch einiges der deutschen Geschichte. Vom Genre her mag das etwas näher an "Slice of Life" sein als manche andere, allerdings spüre ich beim Lesen eine tiefere Schicht, eine Auseinandersetzung der Hauptfigur mit sich selber, der Welt, den Geistern und dem eigenen Lebenszweck, die schon beachtlich ist in der Kürze. 

"Niemand mag Plattenbauen. Niemand außer mir sieht Geister"

Der Leipzig-Charme (um nicht zu sagen, der Charme ostdeutscher Städte im Allgemeinen) ist deutlich zu erkennen. Auch wenn der Schluss keine Knaller-Pointe bietet, ist es doch schön rund und leicht positiv, mit einem kleinen Durchbruch der vierten Wand, den ich kaum spüre.

 

The Magic between Us von Justine Pust

Ein weiteres Highlight für mich! Erstens hat die Geschichte Humor. Zweitens schafft es die Autorin, ausreichend viele Analogien zu meiner Lebenswirklichkeit herzustellen, dass ich unglaublich viel Spaß an Fantasy habe (was selten gelingt). Die Ich-Person verkauft Magie und eine ihrer Kund:innen kommt mit einer Reklamation zurück. Der Spruch hat nicht funktioniert. Der Anfang fängt so richtig schön mit Action an, "Ich will mein Geld zurück".

Ein paar Sätze später heißt es von der Erzählstimme "Ebay ist auch nicht mehr das, was es mal war." (was sich aber auf etwas bezieht, das die Ich-Person dort bestellt hat)

Nun steht also die junge Frau da und will ihr Geld zurück, weil schließlich der Spruch nicht geklappt hat. Anstatt einfach nachzugeben und einzulenken, forscht die Ich-Person aber nach. Einerseits, weil sie nicht glaubt, dass ihre Magie schiefgehen würde. Andererseits, weil sie die junge Frau sehr süß findet. Doch diese gibt an, sie habe die Magie auf ihren Freund angewendet, einen perfekten Mann, Banker, den sie sehr liebt.

Kurz vor dem Ende kommt ein Twist, den ich sehr genossen habe, wirklich sehr - und ich habe ihn nur mit einem halben Auge kommen sehen. 

Die Story verbindet Queerness und Magie sehr gekonnt.

 

Tiramisu mit zwei Löffeln von Askin-Hayat Dogan

Das Böseste kommt zum Schluss. Hier habe ich eine Weile gebraucht, bis ich den Ton der Botschaft habe kommen sehen - und die Schlusspointe garniert die Prämisse noch mit dicker Sahne.

Der Autor versteht es wie vermutlich niemand sonst in dieser Anthologie, unsere tatsächliche, jetzige Welt (inklusive Pandemie, Schwurbler und Internet-Dating) mit Fantasy zu verknüpfen und zwar auf eine Art und Weise, dass ich gar nicht dazu komme, irgendetwas in Frage zu stellen.

Plus, er baut so coole Details ein, dass ich einige davon ausschneiden und über meinen Schreibtisch hängen möchte. Und das wie nebenher, siehe hier:

"Muss jetzt leider zur Arbeit, ein Kinetiker hat wohl eine Hitzewelle in einem Lagerhaus voll mit Kokosbutter verursach! :-(" 

Kopfkino ahoi!

Dann gibt es Referenzen zur Popkultur meiner Generation (Buffy). Ich beobachte Stephan und Dominik beim Date und ahne lange nicht, worauf alles hinausläuft, bis es wirklich böse endet, fast schon zu böse für mich. Aber dem Autor gelingt es, ganz klar Position zu beziehen und keinen Zweifel daran zu lassen, was er mit der Geschichte sagen will - was leider bei solchen Dingen nicht immer klappt. Definitiv das böseste Ende, das ich in der Anthologie gefunden habe. 

 

Alle enthaltenen Stories:

  1. Weltenwandler:in von Sarah Fartuun Heinze
  2. Lockfrequenzen von Iva Moor
  3. Tam Lin 2020 von Christian Handel Tanner
  4. Partygespräche von Jenny Cazzola
  5. Stone Butch Muse von Elea Brandt
  6. Nzinge, die Pionierin von Shelly
  7. Anleitung zum Baumkuscheln für Anfänger von Rafaela Creydt
  8. Kevins verhexter Montag von Martin Gancarczyk
  9. Irren ist übernatürlich von Amalia Zeichnerin
  10. NIE MEHR. von Dyn Quing
  11. Böses Loch von Oliver Baeck
  12. Die noch nicht wissen, ob sie gehen oder bleiben sollen von Liv Katny
  13. Der Trank der Zauberin von Matthias Teut
  14. Fragen Sie Dr. Fichte! von Japser Nicolaisen
  15. Nichts einfacher als das von Leni Wambach
  16. Die Jagd von Alex Prum
  17. In einem Atemzug von Tanja Meurer
  18. Der Homunculus von Isabella von Neissenau
  19. Geistergeschichte von Lena Richter
  20. Der Spalt bei werk3 von Frank Friedrichs
  21. Ein neuer Traum von Juliane Seidel
  22. The Magic between Us von Justine Pust
  23. Verleibungen von Eleanor Bardilac
  24. Heimkehr von Noah Stoffers
  25. Tiramisu mit zwei Löffeln von Askin-Hayat Dogan 

Wie bin ich zu dem Buch gekommen?

Ich folge den Beteiligten und dem Verlag schon lange und interessiere mich für Diversität. Da ich allerdings keine Fantasy-Spezialistin bin, habe ich mir kein Rezensionsexemplar geben lassen, sondern mir das Buch selber besorgt, da ich unsicher war, ob ich eine vernünftige Rezension hinkriegen würde.

Rezeption

Jemand hat hier jede Kurzgeschichten einzeln rezensiert, wow! Und bewertet mit bis zu sechs Punkten. Ich finde es interessant, wie die Rezensent:in die Geschichten empfunden hat, teilweise eben sehr ähnlich wie ich, oder auch anders (mag z. B. keine Krimis). Plus, es wird auch das Rätsel um Noah Stoffers gelöst. Ich frage mich schon, ob ich die Person nicht eigentlich unter einem anderen Vornamen bereits kannte.

 

Bei Instagram ist bezüglich der Anthologie auch einiges los. Hashtag #ufgqueer

Diversität

Alle Stories enthalten Queerness, das ist ja das Thema der Sammlung. Plus, die Diversität und Andersartigkeit vieler Figuren wird durch die phantastische Komponenten noch betont, so finden sich magische Geschöpfe oft einsam unter lauter Menschen wieder.

Harte Fakten

Titel Urban Fantasy going queer herausgegeben von 
herausgegeben von Askin-Hayat Dogan und Sarah Stoffers  
Verlag Art Skript Phantastik Verlag 
Erscheinungsjahr 2021 
Seitenzahl 411 
Anzahl Geschichten 25 
Original Twitter Tweet https://twitter.com/Rezensionsnerd1/status/1463448614521516038 

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