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Stories nominiert für den Kurd Laßwitz Preis 2020

Wer ist nominiert?

Beste deutschsprachige SF-Erzählung mit Erstausgabe 2020:

  1. Galax Acheronian: "Verloren auf Firr'Dars" in "Hyper Orbis" (Verlag für Moderne Phantastik) 
  2. Gabriele Behrend: "Meerwasser" in "Unsere Freunde von ε Eridani" (Begedia)
  3. Christian Endres: "Der Klang sich lichtenden Nebels" in "Der grüne Planet - Zukunft im Klimawandel" (Hirnkost) 
  4. Kai Focke: "Gastropoda galactica" in "Das Alien tanzt Walzer" (p.machinery) 
  5. Heidrun Jänchen: "Mietnomaden" in "Der grüne Planet - Zukunft im Klimawandel" (Hirnkost)
  6. Axel Kruse: "Grassoden in "2101 - Was aus uns wurde (Verlag für Moderne Phantastik) 
  7. Hans Jürgen Kugler: "Die Insulaner" in "Pandemie" (Hirnkost)
  8. Christian Künne: "Friedensfahrt" in "Rebellion in Sirius City" (Verlag für Moderne Phantastik)
  9. Thorsten Küper: "Unsere Freunde von ε Eridani"" in "Unsere Freunde von ε Eridani" (Begedia)
  10. Frank Lauenroth: "Delter" in "Unsere Freunde von ε Eridani" (Begedia)
  11. Michael Marrak: "Insomnia" in "Das Haus Lazarus" (Memoranda) 
  12. Uwe Post: "Terra Halbpension" in "Unsere Freunde von ε Eridani" (Begedia)
  13. Carsten Schmitt: "Wagners Stimme in: "Wie künstlich ist Intelligenz?" (Plan9)
  14. Angela und Karlheinz Steinmüller: "Marslandschaften" in "Exodus" 41 und in "Marslandschaften" (Memoranda)

Also gibt es vierzehn Stories zu lesen, eine (Wagners Stimme) kenne ich bereits. Quelle hier Carsten hat mir eben gesteckt, dass meine Rezi seiner Story da sogar verlinkt wird. Ich sollte mich 2021 mit dem Lesen einfach mehr beeilen! 

Was muss ich kaufen, um das alles zu lesen?

Ich kaufe bevorzugt Ebooks, bevorzugt nicht bei amazon, habe aber zur Not auch einen Kindle. Die Exodus 41 gibt es auch nur als Print, die besitze ich allerdings bereits.

 

 Die Anthologien vom Verlag für Moderne Phantastik gibt es zwar nur bei amazon, aber immerhin als Ebook. 

Titel der Anthologie/Zeitschrift Wo/wie erhältlich? Preis
Hyper Orbis  amazon 3,99
Unsere Freunde von ε Eridani Ebook 4,99
Das Alien tanzt Walzer auch bei Thalia/ Ebook 7,99
Das Haus Lazarus auch bei Thalia/ Ebook 8,99
Der grüne Planet auch bei Thalia/ Ebook 16,99
2101 - Was aus uns wurde amazon 3,99
Rebellion in Sirius City" amazon 3,99
Wie künstlich ist Intelligenz? auch bei Thalia/ Ebook 11,90
Exodus 41 nur als Print 15,90
Pandemie inzwischen auch als Ebook 18,90

Sofern man noch nichts davon besitzt, muss man also einen Betrag von nahezu 100 Euro ausgeben, um alle Geschichten lesen zu können. Als SF-Fan hat man aber vermutlich schon einiges davon, in meinem Fall leider nur drei der Bücher/Hefte - aber ich habe 2020 ja auch erst in großem Stil begonnen, SF-Zeitschriften und Anthologien zu lesen.

 

Edit: "Wie künstlich ist Intelligenz" muss man streng genommen nicht kaufen, denn "Wagners Stimme" gibt es auch kostenlos im Netz. Ich kann die Anthologie aber generell sehr empfehlen.

Die Anthologien

Vollständige Rezensionen habe ich bereits für folgende Anthologien erstellt:

 

"Unsere Freunde von ε Eridani" (Begedia)

"Wie künstlich ist Intelligenz?" (Plan9)

"Pandemie" (Hirnkost)

 

Meine Rezi der Exodus-Mars-Bände ist leider noch nicht fertig, generell habe ich aber bereits zwei Ausgaben rezensiert. Die Story "Marslandschaften" ist ebenfalls in der Anthologie "Marslandschaften" von Memoranda veröffentlicht worden, diese Anthologie habe ich mir aber nicht besorgt.

 

Folgende Anthologien beinhalten Geschichten unterschiedlicher Autor:innen, in der Regel zu einem bestimmten Thema:

  • "Hyper Orbis - Collection of Space Novellas" (Verlag für Moderne Phantastik). All diese Stories spielen im All.
  • "Das Alien tanzt Walzer" (p.machinery). Hier liegt der Fokus auf Spaß. Legt der Titel ja auch nahe. Ich denke, diese Anthologie werde ich mir noch mal als Ganzes gönnen.
  • "Der grüne Planet - Zukunft im Klimawandel" (Hirnkost). Das Thema sollte klar sein. 23 Geschichten wurden hier gesammelt.
  • "Was aus uns wurde" (Verlag für Moderne Phantastik). Climate Fiction Stories.
  • "Rebellion in Sirius City" (Verlag für Moderne Phantastik). Retro Science Fiction.

"Das Haus Lazarus" (Memoranda) von Michael Marrak enthält ausschließlich Stories dieses Autors.  Besonders charmant fand ich den Anhang, in dem es zu jeder Story noch ein wenig Hintergrundinformationen gibt, wann und zu welchem Anlass die Geschichte entstanden ist und wo sie ggf. bereits (auch in anderer Version) veröffentlicht wurde. 

Meine Top-4

Da ich mich nicht ganz entscheiden kann, nehme ich Top-4 statt Top-3:

  1. Carsten Schmitt: "Wagners Stimme" in: "Wie künstlich ist Intelligenz?" (Plan9)
  2. Angela und Karlheinz Steinmüller: "Marslandschaften" in "Exodus" 41 und in "Marslandschaften" (Memoranda)
  3. Kai Focke: "Gastropoda galactica" in "Das Alien tanzt Walzer" (p.machinery) 
  4. Frank Lauenroth: "Delter" in "Unsere Freunde von ε Eridani" (Begedia)

(Hinter den Links verbergen sich kostenlose Versionen im Netz - also einfach reinlesen.)

 

Mein persönlicher Favorit ist "Wagners Stimme", weil hier ein Thema behandelt wird, dass sehr "irdisch" ist, nämlich Demenz. Das Verbinden eines Alltagsthemas mit Science Fiction liegt mir als Leserin generell mehr als ganz abgespacte Dinge, weil ich mich so leichter in die Geschichte und den Prota hineinfinden kann. Außerdem stehe ich persönlich sehr drauf, wenn leicht phantastisch angehauchte Plots dennoch mit beiden Füßen in einer Welt stehen, die ich selber kenne.

Zudem ist die Idee sehr schön, extrem gut umgesetzt. Die Geschichte wurde zu Ende gedacht. Der Plot und das Thema, sowie die Prämisse entblättern sich für mich als Leserin in guter Geschwindigkeit und genau richtig. Der Plot mit Wagners Tochter spielt zudem schon in einer Liga mit Ken Liu, den ich sehr bewundere.

Meiner Meinung nach ist dem Autor hier etwas sehr großartiges und bemerkenswertes gelungen und wenn ich selber schreibe, werde ich stets in diese Richtung nacheifern.

 

"Marslandschaften" der beiden Steinmüllers bietet einen völlig neuen Plot für mich und vor allem im Rahmen der Mars-Geschichten wirkt das Szenario des Pärchens bei den Séancen sehr frisch. Zudem spitzt sich die Geschichte gegen Ende auf eine Art und Weise zu, mit der ich absolut nicht gerechnet habe.

 

"Gastropoda galactica" ist witzig, aber trotzdem ist der Plot klar und nachvollziehbar und sprengt nicht die Grenzen der Welt, die anfänglich gesetzt wird. Natürlich ist es skurril, dass es eine Weltraumschnecke gibt, die sich der Erde nähert. Aber hat man das erst einmal akzeptiert, kommen keine neuen phantastischen Ideen um die Ecke. Es ist witzig und die Pointe wird genau an der richtigen Stellen angedeutet.

 

"Delter" ist extrem gut gemacht, gut umgesetzt und sehr gruselig auf eine eigene Art. Dabei bin ich ganz sicher nicht leicht zu gruseln. Eine Geschichte, die ich sicherlich erneut lesen muss, wenn sie sich etwas gesetzt hat. Anspruchsvoll, aber nicht zu sehr, so dass ich auch nach dem ersten Lesen bereits eine Idee davon habe, was das alles zu bedeuten hat. Sie nimmt mich als Leserin also beim ersten Lesen bereits mit, wenn ich auch vermute, dass ich noch nicht alle Schichten durchdrungen habe. Das macht mir gleich Lust, mir ein paar andere Dinge dieses Autors anzuschauen. Empfehlungen sind erwünscht.

 

Wer zu den Einzel-Rezensionen aller Stories scrollt, wird merken, dass auch einige der anderen zehn Stories von mir sehr genossen wurden. Insgesamt hat mir das Lesen dieser vierzehn Stories gefallen und das Experiment kann als geglückt bezeichnet werden. Ich habe definitiv meinen Horizont erweitert, einige neue Autor:innen und auch Verlage entdeckt, die ich zukünftig beim Lesen beachten werden. Außerdem haben sich ein paar nette Chats ergeben, die von mir initiiert wurden, sei es nur "Hast du eine Autorenhomepage" oder "Habe ich deine Schlusspointe richtig verstanden?".

14 Stories - Einzelrezensionen

Galax Acheronian: Verloren auf Firr'Dars

Diese Erzählung erschien in der Anthologie "Hyper Orbis" im Verlag für Moderne Phantastik. Hier ist seine  

Autorenwebseite.

  

Das ist keine Kurzgeschichte, das ist ein kleiner Roman mit circa 110 Seiten. Entsprechend ist er auch aufgebaut: Ich lerne die Figuren viel genauer kennen und werde in eine komplexe fremde Welt entführt, die jedoch garniert ist mit Dingen, die ich sehr gut kenne, wie die Dynamiken in einer Schulklasse mit circa fünfzehnjährigen Kindern.

Die Helden dieser Story sind zunächst Simon und Collin, beide 15, beste Freunde, beide Außenseiter. Collin wiegt etwa hundert Kilo und Simon ist auffällig klein und schmächtig und eher am eigenen Geschlecht interessiert. Beide haben "Quant-"Fähigkeiten. Von ihnen aus gesehen in der Vergangenheit (und von uns aus gesehen in der Zukunft) landete ein außerirdischen Raumschiff auf der Erde. Die Menschen konnten die Technologie ausschlachten und selber im großen Stil den Weltraum erobern, aber es wurden auch Babys mit besonderen Fähigkeiten geboren. Viele davon mit nützlichen, andere mit besorgniserregenden.

 

Simon, Collin und ihre Klassenkamerad:innen besichtigen mit ihrer Schulklasse und ihrem Lehrer die "Manhattan", ein Raumschiff, dass in der Nähe des Jupitermondes Ganymed unterwegs ist. Sie werden überraschend von Aliens angegriffen, die Manhattan stürzt ab, ist ein flugunfähiges Wrack. Collin wurde mit einer Kapsel auf den Planeten geschossen - und macht Bekanntschaft mit einem Bewohner. Dank der eingebauten Technologie in Collins Kopf können die beiden kommunizieren, auch wenn es einige unübersetzbare Worte gibt. Der Alien ist ebenfalls ein Heranwachsender und hat eine ganz andere Perspektive auf die Menschen und die Ereignisse in der Vergangenheit.

 

Die Geschichte bietet alles, was man so für einen guten Blockbuster braucht, inklusive einer zarten, recht ungewöhnlichen Liebesgeschichte. Simon und einige andere versuchen, einen Krieg zwischen den gestrandeten Menschen und den Aliens (den Plahdo) abzuwenden. Dabei machen einige Charaktere einiges an Entwicklung durch, ob zum Guten oder zum Bösen.

Die Geschichte ist sehr spannend und ich weiß an keiner Stelle, wie es ausgehen könnte. Dazu bietet die Erzählung herrlich diverse Figuren, ob Außenseiter, Homosexuelle, IT-Nerds oder eben jene, die leider oft von Jugendlichen ausgegrenzt werden, weil sie sich von der Norm unterscheiden, beispielsweise durch Größe oder Körpergewicht. 

Klassischen Rassismus aufgrund von Hautfarben gibt es hier nicht mehr, dafür aber Vorurteile gegen jene mit "Quant-"Fähigkeiten. Der Autor hat eine komplexe Welt gebaut, die dennoch sofort verständlich wird, da so vieles an die sozialen Strukturen von heute erinnert. Mit einigen der Figuren kann ich mich zudem sehr gut identifizieren. Und die Aliens sind herrlich beschrieben.  

Gabriele Behrend: Meerwasser

Diese Erzählung erschien in der Anthologie "Unsere Freunde von ε Eridani" im Verlag Begedia, ihre Autorenhomepage ist hier.

  

Die Ich-Erzählerin lebt im bzw. ist Meerwasser (ich hoffe, das spoilert nicht zu sehr, es wird mir recht bald klar). Eine recht anspruchsvolle, wie originelle Perspektive, die zunächst den Lesereiz ausmacht, bis sich der Plot nach und nach entfaltet. Ein nichtmenschlicher Erzähler schaut (unter anderem) auf Menschen und beschreibt diese aus einer ganz eigenen, sehr liebevollen Sicht.

Christian Endres: Der Klang des sich lichtenden Nebels

Diese Erzählung erschien in der Anthologie "Der grüne Planet - Zukunft im Klimawandel" des Hirnkost Verlags.

 

Von dem Autor habe ich schon einiges gelesen, mindestens drei andere Kurzgeschichten, haufenweise Rezis und Tweets

 

Die Story unterscheidet sich von denen, die ich bisher von diesem Autor gelesen habe. Der Protagonist ist in einer postapokalyptischen Welt im Wald unterwegs.

Sie ist atmosphärisch sehr dicht und viele Informationen sind klug zwischen den Zeilen eingestreut. Wie der Himmel, den schon lange keine Kondensstreifen mehr verziert haben. Dialoge gibt es nicht, der Protagonist ist alleine unterwegs. Der Schluss hat mich sehr überrascht. 

Kai Focke: Gastropoda galactica

Diese Erzählung erschien in der Anthologie "Das Alien tanzt Walzer"  bei p.machinery. Auf seiner Autorenhomepage freut sich Kai ganz sympathisch über die Nominierung.

 

Die Story ist definitiv die witzigste. Und nicht so bierernst insgesamt - wobei "bierernst" hier in mehr als einer Hinsicht sehr gut passt und ich womöglich nicht die erste bin, die das so formuliert.

 

Der Protagonist Professor Hoffbauer stellt fest, dass eine riesige Schnecke sich durch den Weltraum frisst, die Gastropoda galactica. Sie ist schon beim Saturn und hält Kurs auf die Erde, denn sie hat Durst und auf unserem Planeten befindet sich bekanntlich recht viel Wasser. So wie es ausschaut, haben wir noch vierzehn Monate, bis sie und verspeist.

Der Professor und seine Kolleg:innen begeben sich auf Lösungssuche. Da es wichtig ist, auch mit Praktiker:innen zu beraten, folgen ein paar herrliche Dialoge mit Botaniker:innen und Hobby-Gärtner:innen, denen der Professor natürlich nicht ganz die Wahrheit sagen darf, um niemanden in Panik zu versetzen. Er holt sich Tipps und ich als Lesende lerne eine Menge über Schneckenbekämpfung. Der Tipp, der ihn schließlich überzeugt, hat natürlich mit Bier zu tun. Die Pointe ahne ich eine Seite vor dem Ende, genau so, wie es perfekterweise sein sollte. Herrlich!

Heidrun Jänchen: Mietnomaden

Diese Erzählung erschien in der Anthologie "Der grüne Planet - Zukunft im Klimawandel" des Hirnkost Verlags. 

Die Autorin sagt mir etwas und ja, sie war auch bei der Pandemie-Anthologie dabei.

 

Die Geschichte wird Seite für Seite immer besser, es dauert etwas, bis sie in Fahrt kommt. Anfänglich spielt sie auf der Erde. Diese wird immer wärmer. Erst kommen die Spanier nach Deutschland, dann die Deutschen nach Norwegen, schließlich drängeln sich die wenigen verbliebenen Menschen ganz im Norden. 

Ein Generationenschiff bricht auf zu einem fremden Planeten - und kommt offenbar ein wenig vom Weg ab. Richtig gut wird die Geschichte, als sie den Planeten erreichen. Dieser war durchaus mal bewohnt. Spuren gibt es genug. Die ehemaligen Bewohner hatten ihn total heruntergewirtschaftet, der CO2-Gehalt ist enorm, der Sauerstoffgehalt noch nicht sehr gut. Aber die Natur regeneriert sich längst, es wird besser und besser. Man kann sich (wieder? ;-) ) dort niederlassen. Herrliche Idee, auch wenn ich sie nach einer Weile schon ahne. 

Axel Kruse: Grassoden

Diese Erzählung erschien in der Anthologie "2101 - Was aus uns wurde" im Verlag für Moderne Phantastik.

 

Hier kann ich ja sogar die wikipedia verlinken. Der Autor ist schon eine ganze Weile aktiv und hat neben etlichen Kurzgeschichten auch Romane im Atlantis-Verlag veröffentlicht. Eine Autorenhomepage gibt es auch.

 

Gleich zu Anfang muss der arme Ich-Erzähler ohne Wasser duschen (Reinigung durch Ultraschall), was mich sofort auf seine Seite zieht. Im Weltraum sei das Wasser nun einmal knapp. Da haben ja die Leute bei The Expanse mehr Luxus. Kurz darauf entdeckt er Zeichen einer Ruine und fordert ein Team und eine Expedition zur Untersuchung an. Nicht ganz einfach, mitten im Krieg. Es wird ihm gewährt (fast sogar zu seiner Überraschung) und sie finden in der Tat Ruinen: Reste von Häusern, gebaut aus Grassoden

Ich ahne so langsam, was genau sie gefunden haben und als sich die Geschichte verdichtet, wird meine Vermutung bestätigt. 

Extrem gut erzählt, pointiert, gut gemacht.

Hans Jürgen Kugler: Die Insulaner

Diese Erzählung erschien in der Anthologie "Pandemie" des Hirnkost Verlags. Die Anthologie hatte ich bereits rezensiert. Die Story hatte ich bereits vor Monaten im Rahmen meiner Rezi zur Pandemie gelesen:

 

Das Setting schreit eigentlich mehr nach einem Roman als nach einer Kurzgeschichte. Den Untergang des größten Teils der Menschheit hätte ich mir detailreicher und actionreicher gewünscht. Das ist natürlich im Rahmen einer Kurzgeschichte nicht zu leisten. Wie die Menschen auf wenige hunderttausend dezimiert wurden und daher verstreut in Frieden leben, Jahrhunderte zurückgeworfen in der Entwicklung - nicht uninteressant!

Christian Künne: Friedensfahrt

Diese Erzählung erschien in der Anthologie "Rebellion in Sirius City" im Verlag für Moderne Phantastik. Der Autor ist übrigens in dieser Antho mit zwei Geschichten vertreten. Christian Künne habe ich gleich auf Twitter gefunden.

 

Die Story verortet sich gleich direkt am Berliner Breitscheitplatz und eher indirekt (mittels einer Zeitung) im Mai 1959, direkt nach der Rede von Willy Brandt "Berlin bleibt frei". Allerdings ist es dennoch nicht "unser" Berlin im Jahre 1959. Es gibt Rohrpost, autonome Straßenbahnen und Hybrid-Autos, die zum Teil mit Atomenergie betrieben werden. Spannend! Ich stehe total auf alternative Welten. Der Protagonist Martin stellt sich auch recht rasch als eine Art Ingenieur oder Naturwissenschaftler heraus, der außerdem einen toten Briefkasten bedient. Da der Autor gekonnt szenisch erzählt und nicht viele Hinweise gibt, steigt mein Interesse und meine Spannung recht bald. 

Die Story ist irre gut geschrieben. Alleine schon die Darstellung der Nervösität des Protagonisten, wie er sich mit dem Lesenden noch unbekannten Auftrag und gefälschten Papieren nach Osten aufmacht und dort von einem Schutzpolizisten überprüft wird. 

"[...] und bog zwei Häuserblocks weiter in eine kleinere Nebenstraße ab. Erst hier wurde ihm bewusst, dass er den Griff seines Regenschirms noch immer viel zu fest umfasste."

Auf bemerkenswert kleinem Raum gibt es einiges an Action, Dialogen mit (vermeintlichen) Freunden, Feinden, Überläufern, es wird gelogen, Informationen verschlüsselt, einiges verheimlicht und anderes aufgedeckt. Ein wenig erinnert mich das Setting der alternativen Realität in der Vergangenheit an Harris' Roman Vaterland, wenn hier auch eher die Technologie als die Geschichte einem alternativen Pfade folgt. Gelungen und spannend. Den Autor werde ich beobachten. 

Thorsten Küper: Unsere Freunde von ε Eridani

Diese Erzählung erschien in der Anthologie "Unsere Freunde von ε Eridani" im Verlag Begedia. Thorsten folge ich schon seit einer Weile bei Twitter.

 

Schmissige Dialoge, gut beschriebene Außerirdische, etwas mehr als nur ein paar Prisen Humor, zwei im Gedächtnis bleibende Protagonisten und ein echt sympathischer Eridanier: Brutus. Die Kommunikation mit Brutus läuft (bis auf ein paar Dinge, die er zu wörtlich nimmt) ausnehmend gut, fast besser als unter Menschen. Der Plot stellt sich dann doch als sehr viel ernster heraus, als ich zunächst aufgrund des lockeren Starts angenommen hätte. Am Ende darf ich aber wieder ein wenig schmunzeln. Durchdacht, amüsant und stellenweise ein paar Figuren mehr, als ich in der Kürze verarbeiten kann.

Frank Lauenroth: Delter

Diese Erzählung erschien in der Anthologie "Unsere Freunde von ε Eridani" im Verlag Begedia. Der Autor hat eine Homepage und ist auch bei Twitter.

  

Als ich in der Schule war und zum ersten Mal lernte, was eine "Kurzgeschichte" ist, ging es darum, dass man sehr aufmerksam lesen musste, weil wichtige Informationen teilweise in einem einzigen Wort stecken und nichts redundant ist. Was verpasst wurde, ist verpasst.

 

In dieser sehr intelligent und sparsam ausformulierten Geschichte (ihr sucht vergeblich nach Infodump) wird aus der Sicht von Delter erzählt (wenn auch nicht aus der Ich-Perspektive). Dennoch müssen wir - die meiste Zeit - mit der eher eingeschränkten Sicht des Delters auf die Welt vorlieb nehmen und uns den Rest denken. Auf der ersten Seite bin ich begeistert von den Wortspielen mit griechischen Buchstaben (neben Delter auch Beter, Alpher, Gammer usw.), danach muss ich mich schon mächtig zusammenreißen, um nichts zu verpassen. 

 

Der Schluss der Story ist folgerichtig und konsequent und recht hart.

Michael Marrak: Insomnia

Diese Erzählung erschien in der Anthologie "Das Haus Lazarus" im Verlag Memoranda. Die Besonderheit ist, dass es sich bei dieser Anthologie ausschließlich um Erzählungen des Autors Michael Marrak handelt.

 

Dem Autor folge ich schon ewig bei Twitter. In der Wie künstlich ist Intelligenz-Anthologie war er ebenfalls vertreten. Seitdem wollte ich sowieso mal etwas längeres von ihm lesen.  Bei Facebook findet man Michael ebenfalls.

Nur so nebenher: Das Nachwort in dieser Anthologie ist irre spannend, weil er genau schreibt, von wann die Stories sind, wann es einen ersten Entwurf, die erste Idee usw. gab. Das blickt einen herrlichen Einblick in den Werdegang der Stories und indirekt auch des Autors.

 

Ende des 22. Jahrhunderts. Ein paar hundert Augenpaare werden gestohlen. Im Prolog taucht ein wirklich fieses Wesen auf, dass auch noch sehr gekonnt beschrieben wird:

Achtlos ließ der Fremde die Maske neben Darwins sterbliche Hülle fallen. Sein eigenes Ohngesicht indes wallte, als kröche unter der Facette ein riesenhafter Mund umher auf der Suche nach seinem korrekten anatomischen Platz.

Was genau ich daran so genial finde, kann ich sogar benennen: Das Gesicht wird beschrieben anhand von Bewegungen. Irre eklig!

Die Dialoge haben mir ebenfalls sehr gut gefallen, vor allem jene zwischen dem Ich-Erzähler Mel Farrell und Jadith Pares, einer Frau aus dem Quelladel (das wird innerhalb des Settings der Story klar). Es ist eine recht komplexe Welt. Da der Autor weder Infodump noch narratives Zusammenfassen nutzt, sondern anhand von Action und Dialogen durch den Plot schreitet, fühle ich mich fast selber wie eine Detektivin. Wenn mir jemand in nächster Zeit noch mal erzählt, in SF sei Infos zwischen den Szenen notwendig, halte ich ihm mal diese Prosa unter die Nase. Die Atmosphäre erinnert mich an Blade Runner, was ich zuerst nur auf meine geringe Erfahrung mit Erzählungen und Filmen dieser Art schiebe. Fast erleichtert stelle ich dann im Nachwort fest, dass die Geschichte tatsächlich von Blade Runner inspiriert wurde. Die Handlung ist zwar komplett verschieden, aber die Welt kam mir in der Tat recht ähnlich vor mit diesen dunklen Technologien und dem leichten Charme vergangener und gleichzeitig zukünftiger Jahrzehnte.

A propos Suspense: Mel Farrell hat keine Wahl. Er wird doch sehr motiviert genau das zu tun, was seine Widersacher von ihm wollen. 

Uwe Post: Terra Halbpension

Diese Erzählung erschien in der Anthologie "Unsere Freunde von ε Eridani" im Verlag Begedia. Infos zum Autor habe ich z. B. hier gefunden.

 

Ich kenne mich zu wenig aus mit Douglas Adams (vor 25 Jahren gelesen), muss aber trotzdem beim Lesen ein bisschen an seine Anhalter-Reihe denken. Das Setting ist hier irgendwie ernster (auch wenn das Entfernen der Erde aufgrund einer Autobahn irgendwie ja auch ernst ist), denn es beginnt mit einer nuklearen Katastrophe. Einige mögen sich ertappt fühlen im ersten Paragraphen, als jemand versucht, einen Selfie mit dem Atompilz im Hintergrund zu schießen und diesen bei Insta zu posten. Doch er stirbt an der Strahlenkrankheit und weiter geht es mit Nele. Nele überlegt schon eine Weile nach der Katastrophe, ist aber ebenfalls bereits krank. Sie ist an Zynismus und Pragmatismus kaum zu überbieten. Dann taucht ein Ufo auf, der einen Alien abholen will, der auf der Erde Urlaub gemacht hat. Der Alien ist nicht aufzufinden. Kurz entschlossen nimmt Nele seinen Platz ein. Im Ufo lernt sie einen Verhinderungsagenten kennen, der ihr einen Job anbietet. 

 

Der Plot ist haarsträubend, aber das ist wohl Absicht. Mir ist es etwas zu skurril. Ich bin unsicher, ob die Pointe logisch ist, aber es ist immerhin eine Pointe.

Carsten Schmitt: Wagners Stimme

Diese Erzählung erschien in der Anthologie "Wie künstlich ist Intelligenz?" bei Plan9. 

 

Dem Autor folge ich schon länger bei Twitter und habe auch sein Fanzine Totenschein rezensiert. Er veröffentlicht Short Stories nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Englisch. Hier die Autorenhomepage.

 

Seine Story "Wagners Stimme" kannte ich als einzige bereits, bevor die diesjährigen Nominierungen. Das war reiner Zufall, da ich die Anthologie bei Twitter gesehen und sogleich gekauft, gelesen und rezensiert habe. Seine Geschichte war in der Tat mein persönlicher Liebling in dem Band, so dass ich ebenfalls so entschieden hätte.

 

Dies schrieb ich dazu, als ich die Geschichte noch frisch im Kopf hatte:

Da ich ja auf Familiengeschichten stehe und auch auf Geschichten, in denen ältere Menschen und deren Sorgen eine respektvolle Rolle spielen, ist diese Story mein persönlicher Favorit. Jens Wagner leidet an etwas, das vermutlich Alzheimer ist - jedenfalls wird das auch einmal ausgesprochen. Eine KI wird so integriert, dass sie mit seiner eigenen Stimme zu ihm spricht und ihm im Alltag hilft. Jens' Frau ist bereits gestorben, zu der Tochter gibt es keinen Kontakt. Warum, wird so nach und nach entblättert, auch wenn vieles nur zwischen den Zeilen steht, was schön subtil gehalten wird.

Anfänglich hilft die KI ihm nur dabei, daran zu denken, ob noch eine Dose angebrochenes Katzenfutter im Kühlschrank ist, mit der Zeit werden die Aufgaben der KI komplexer und helfen Jens' länger selbstbestimmt in seiner Wohnung zu leben. Es geht dennoch den "üblichen Weg", Essen auf Rädern, Hilfe im Haus, Pflegeheim.

Ganz am Ende trifft die KI nahezu menschliche Entscheidungen. Ein Schluss, der mich fast zum Weinen gebracht hätte.

Diese Geschichte hätte auch von Ken Liu stammen können - mächtig schön!

Angela und Karlheinz Steinmüller: Marslandschaften

Diese Erzählung erschien in der Zeitschrift Exodus #41 und in "Marslandschaften". Die Exodus habe ich abonniert, hatte aber die Mars-Ausgaben noch nicht durch, als die Nominierungsliste erschien. Doch so brauchte ich immerhin nur ins Regal zu greifen, um die Story zu lesen.

 

Das Ehepaar Müller fasst seine SF-Aktivitäten auf der Homepage zusammen. Die Seite bietet auch gute Infos und News aus der SF-Szene, muss ich mir mal bookmarken.

Beiden wurden bereits in der Vergangenheit mit dem Kurd-Laßwitz-Preis und dem Deutschen Fantasy-Preis ausgezeichnet. 

 

Die Story fällt auch tatsächlich in der Doppel-Ausgabe zum Thema Mars auf. Keine Reise auf den Mars, sondern Séance spielen eine Rolle - nur dass hier nicht mit Toten kommuniziert wird, sondern mit einem Marsianer Astané . Der Ich-Erzähler schildert dies alles aus der Sicht eines Skeptikers, der zwar mitmacht, aber kein Wort glaubt. Der leicht ironische Tonfall erzeugt so viel Humor, dass ich beim Lesen grinse. Selbst die Mars-Kanäle werden wieder hervorgekramt.

Von seinem Lebenspartner Arthur wurde der Ich-Erzähler zu den Séancen mitgenommen, es sei gut für die Inspiration, schließlich sei er ja Künstler (an der Leinwand). Doch nach und nach sorgt sich der Ich-Erzähler um Arthur, der nicht nur mehr sonntags von den Séancen und dem Medium Hélène Smith (bürgerlich Catherine-Élise Müller, die gab es übrigens tatsächlich von 1861 bis 1929) und dem Marsianer Astané spricht.

Je weiter die Story voranschreitet, desto mehr frage ich mich: Wer steigert sich hier eigentlich herein? Arthur oder der Ich-Erzähler? Oder ist das alles wahr?

Absolut gelungene Pointe. Ich habe meine Augenbrauen sehr hoch gezogen.

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