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Das Science Fiction Jahr 2020

Harte Fakten

Titel Da Science Fiction Jahr 2020
Autor*in Hardy Kettlitz, Melanie Wylutzki
Erscheinungsjahr 2020
Seitenzahl 608

Inhalt

Das Science Fiction Jahr 2019 hatte ich ja verspätet gelesen - erst einmal erschien es ja sowieso erst im Februar 2020, ich entdeckte es irgendwann im Sommer, holte erst einmal ein paar Klassiker nach und las es daher erst im Oktober.

 

Mit diesem Band bin ich früher dran, das ist ja erst am 1. Oktober erschienen. Thema diesmal: Diversität. Mit einem Hauch Covid-19. Mit Diversität kenne ich mich etwas besser aus als mit dem letztjährigen Thema Transhumanismus, vor allem dank der Queer*Welten 1 und Queer*Welten 2.

 

Eine andere ausführliche Rezension gibt es übrigens auf dem Blog von Jol Rosenberg.

 

Die Entführten oder: Was ist Afrofuturismus? von Christian Hoffmann

Es geht auch gleich los mit einem Artikel über Afrofuturuismus. Da kann ich sicher Nachhilfe brauchen. Zwar habe ich mal hier mal da in der Phantastisch oder der Quarber Merkur - oder auch in der Science Fiction 2019 - mal Rezensionen von Literatur gelesen, die wohl in diese Sparte fällt, aber noch nichts selber gelesen. Jetzt stelle ich fest, dass Samuel R. Delanys Literatur dazugehört - den habe ich ja immerhin auf dem SUB - und auch Octavia Butler, von der ich mindestens gehört habe. Leider gibt es Kindred von Butler noch nicht als Ebook - da muss ich wohl auf andere ausweichen wie der Parabel vom Sämann, um die Autorin mal anzutesten.

 

KAPSEL: chinesische Science Fiction Interview mit Lukas Dubro HG) und Felix Meyer zu Menne (Chefredakteur)

KAPSEL ist der erste Magazin in Deutschlan, das chinesische SF thematisiert. Ich fühle mich beim Lesen ganz wohl, da ich dank der Phantastisch vor einiger Zeit auf Ken Liu gestoßen bin. Nicht nur seine Kurzgeschichten sind klasse - the Paper Menagerie war das beste Buch, das ich seit Juni 2020 gelesen habe - auch seine Übersetzungen chinesischer Kurzgeschichten und sein neueres Buch Hidden Girls liegt schon auf dem SUB. Von den drei Sonnen von Cixin Liu habe ich eine Rezension von Franz Rottensteiner in der Quarber Merkur gelesen, der das eher verreißt - eigentlich schon so, dass es mich fast schon wieder neugierig macht. Jedenfalls habe ich zurzeit vier Anthologien mit chinesischen Kurzgeschichten bereits gekauft und sollte erst einmal die lesen.

Das Interview zeigt auf, dass die chinesische Literatur quasi eben erst in den USA und Europa entdeckt wurde und plötzlich sehr populär geworden ist. Fast über Nacht, so scheint es. Dies ist unter anderem den Bemühungen von Ken Liu zu verdanken. Auch die KAPSEL hat im deutschsprachigen Raum bereits einiges dazu beigetragen.

Mittlerweile habe ich übrigens mit der Anthologie chinesischer SF "Broken Stars" begonnen, bin circa halb durch.

 

Queer Denken von Lena Richter

Warum es eben nicht reicht, einfach wie immer zu schreiben und einfach irgendwo "einen Schwulen draufzuklatschen". Weil eben ein queerer Mensch selten alleine kommt und weil in solcher Literatur die Figuren oft auf ihre Sexualität begrenzt werden und oft sogar stereotypisch dargestellt werden. Vor circa zwanzig Jahren in Berlin kannte ich bestimmt zwanzig Transmänner. Und warum? Weil ich zufällig einen kennenlernte und er mir dann all die anderen vorstellte. Sie hatten sich gefunden und das ist ja auch sehr verständlich. Wer, wenn nicht Gleichgesinnte mit den gleichen Problemen, könnte besser als Freundeskreis dienen? Lena Richter hebt hervor, dass die einzelne queere Person in Geschichten daher unrealistisch ist.

Besonders betont sie die Heldenreise, die so gar nicht zu queeren Personen passen mag, weil eben nicht einfach so davon ausgegangen werden kann, an anderen Orten wieder Gleichgesinnte zu finden und queere Menschen daher stärker mit ihrem Zuhause verbunden sind.

Ich kann hier gar nicht alle Ideen wiedergeben, die sie sehr anschaulich und tiefgründig aufzeigt und ein sehr schönes, optimistisches Fazit anbietet.

 

Wann ist ein Mann ein Mann? von Joachim Körber

Mit Anspielung auf Herbert Grönemeyer beginnt er. Dann folgt eine tiefe Besprechung feministischer Literatur - teilweise recht Bekannte wir von Margret Atwood oder Ursula le Guin. Besonders hebt er hervor, dass man zwar meinen mag, dass le Guin nach der linken Hand der Dunkelheit und freie Geister ihre beiden besten Romane schon geschrieben hatte, dass aber die Kurzgeschichten, die sie danach verfasste, mehr Beachtung verdienen als sie bisher erfahren hatten. Hier empfiehlt er den Sammelband The Birthday of the World and other stories.

 

Muslimische Figuren in der Mainstream Science Fiction von Askin-Hayat Dogan

Von Dogan bin ich ein Fan seit seinen Artikeln in der Queer*Welten. Herrliche, klare Art zu schreiben und Lesenden die Augen zu öffnen. Denn ja - wo sind eigentlich die ganzen Moslems in den SF-Büchern, Filmen und Serien? Offenbar gibt es so wenige, dass Dogan sogar Sayid aus LOST wieder ausgraben muss, um ein Beispiel mehr aus der Serienwelt der letzten zwanzig Jahre zu finden (dabei ist das zwar Phantastik, aber nicht so recht SF. Würde ich sagen. Ich habe die Serie viermal durchgeguckt. Ja, damals hatte ich noch viel Zeit zum Fernsehen). Immerhin in "The Expanse" gibt es eine Figur, Avasarala, die indische Politikerin. Laut Buch ist sie zwar Buddhistin, aber sie könnte als Muslima gelesen werden. Dann noch Bashir aus Depp Space 9 (auch wenn seine Religion nicht thematisiert wird) und Khan aus Star Trek, die möglicherweise muslimisch gelesen werden könnten (auch wenn sie es wahrscheinlich gar nicht sind, jedenfalls wird es nicht erwähnt). Sehr unterrepräsentiert, richtig? Nicht sehr divers. Überall nur Christen? Oder Atheisten?

Immerhin im deutschsprachigen Raum gibt es etwas SF-Literatur, dass auch Moslems mit einbezieht, so zum Beispiel Wasteland von Judith und Christian Vogt. Ansonsten sieht es leer aus im westlichen Mainstream.

Das stößt mich jetzt geradezu auf die Frage: Gibt es eigentlich muslimische Science Fiction?

Ich frage ihn mal - er ist ja auf Twitter und heißt AskDogan, das lädt ja dazu ein.

 

Darauf folgt auch gleich ein Artikel von Judith C. Vogt Die drei Geschlechter: Männer, Frauen und Aliens. Was, wenn man in keine der Schubladen passt? Nonbinäre Menschen sind ja keine Aliens! Gibt es etwa nur weiblich, männlich und dann noch "ganz fremd, gehört nicht zu uns"? Was das dritte Geschlecht betrifft, stehen wir hier noch sehr am Anfang. Immerhin in Nepal, im Oman und auf den Philippinen tut man sich da schon länger leichter. In der SF haben die Autor*innen die Hosen an und können quasi machen was sie möchten - und eben auch diverse Charaktere teilhaben lassen. SF kann Wegbereiter für mehr Vielfalt und Teilhabe sein - so dass die Realität es leichter hat, zu folgen.

 

Silke Brandts Vamiperella in Herland beantwortet mir dann auch ganz nebenbei eine Frage, die ich schon länger hatte: Was soll ich als nächstes von Tanith Lee lesen? (Mist, von ihrer Blood Opera Trilogie gibt es nur Band 3 als Ebook. Wie fies! Dann doch weitersuchen.) In dem Artikel geht es eigentlich um Feminismus in der SF-Literatur. Gleichberechtigung. Die weibliche Sicht. Die vielleicht andersartigen Talente einer weiblichen Protagonistin. Eben nicht eine Frau, die sich dann doch wieder wie ein Mann verhält, sondern eben wie eine Frau. Die Dinge womöglich anders macht. SF und Phantastik, dass die Rollen nur auf den Kopf stellt - die Männer zum (vermeintlich) schwächeren Geschlecht macht. Oder eben doch darüber hinaus denkt. Sehr spannend und lesenswert.

 

Das Phantastische ins Kippen bringen von Cheryl Morgan

Super Aufsatz! Danke an Nbookreviews für das Recherchieren des englischsprachigen Originals, das in Open Access verfügbar ist.

Es geht um: Transleute in SF Literatur (und, aber eher am Rande: in Filmen). Morgan nennt positive und auch negative Beispiele. Als Negativbeispiel ist mir besonders der Film The Crying Game in Erinnerung geblieben, in dem die Transfrau von dem androgynen Jaye Davidson dargestellt wird und der Protagonist, gespielt von Forest Whitaker, schockiert reagiert, als er feststellt, dass seine Angebetete einen Penis hat.

Morgan gesteht Autor*innen aber auch zu, ihr Verständnis queerer Themen im Laufe der letzten Jahre und Jahrzehnte deutlich erweitert zu haben. Sie schildert dies als eine Reise, die auch Autor*innen in die Welt der Transmenschen unternehmen und schildert dies gekonnt anhand des nordirischen Autors Ian McDonald. Während sein 1996 veröffentlichter Roman noch nahelegt, dass Transmenschen lediglich bemittleidenswert sind, entwickelt der Autor sein Verständnis queerer Themen mit den Folgeromanen immer weiter, bis er schließlich mit Brasyl (2007) eine Hauptfigur einführt, die bisexuell und gender-fluid (zeitweise sehr feminin, in anderen Situationen sehr maskulin) ist, ohne dass diese Identität für den Plot eine tragende Rolle spielt.

Sehr beeindruckt hat mich das nahezu beiläufige Outing eines Transjungen im Roman The Root (2016). Da kämpfen zwei Jungen miteinander und die Figur Tae wird an der Hüfte getroffen, was schmerzt. Sein Gegner wundert sich, Tae erzählt ihm, da bekäme er immer seine Injektionen. Testosteron. Sein Gegner nimmt das nur nickend und lächelnd zur Kenntnis - versteht sofort. Es kommt nie wieder zur Sprache, nimmt keinerlei Platz im weiteren Werdegang der Story ein. Tae ist einfach trans und Ende. Transmenschen kommen also hier einfach ganz normal vor, ohne dass es aufgesetzt oder unbedingt wichtig für die Handlung ist. Morgan zeigt auf, dass Transmenschen immerhin vermutlich vier Prozent unserer Bevölkerung ausmachen. Hierzu zählen nicht nur  Transfrauen oder Transmänner, sondern auch alle inter- nonbinären und sonstigen queeren *Menschen.

Ein toller Essay! Und ihr müsst das Buch nicht einmal kaufen, um ihn lesen zu können - sofern ihr Englisch könnt.

 

Transgender Translation: Geschlechtsidentitäten als Übersetzungsproblem in der Science Fiction von Bernhard Kempen

 Manchmal ist Bernhard Barbara. Dann trägt sie andere Kleidung und sieht aus wie eine Frau. Aber er trägt auch manchmal männliche konnotierte Kleidung und ist entspannt, mit welchem Namen und welchem Pronomen er angesprochen wird.

Er weiß aber, dass nicht alle das so sehen. Außerdem arbeitet er als Übersetzer*in für SF-Romane und kennt die Schwierigkeit, Pronomen für nonbinäre Personen aus dem Englischen ins Deutsche zu übersetzen. Oder sich entscheiden zu müssen, weil es auf Deutsch eben nicht einfach "my partner" heißen kann. So ist einiges auf den ersten Blick unübersetzbar - oder erfordert kreative oder sehr konsequente Lösungen.

Ein schöner Blick hinter die Kulissen der Übersetzungsherausforderungen in der Transwelt des SF. Danke dafür!

 

"Ich könnte diese vage, verschwommene Stadt verlassen...": Zum 40. Geburtstag der Übersetzung von Samuel R. Delanys Roman Dhalgren von Kai U. Jürgens

Wow, nach dieser sehr tiefgründigen Betrachtung des Romans "Dhalgren" habe ich fast den Eindruck, hineingelesen zu haben. Nicht nur die Zusammenfassung, Erläuterung, verborgene Bedeutung, Einflüsse, Einflussname, Hinweise zur Übersetzung usw. usf. sondern auch einige Zitate bietet dieser sehr umfangreiche Artikel. Babel 19 liegt ja schon auf meinem SUB - mal schauen, ob ich die 800 Seiten Dhalgren danach nachlegen möchte.

 

In den Verliesen der Skienze Fickizion: Science Fiction und queere Räume von Jasper Nicolaisen

Sehr persönlicher Aufsatz vom Beginn und Fortgang der Liebe zu SF und der Bedeutung für queere Leser*innen.

 

Military SF für das 21. Jahrhundert von Mareike Spachala

Profunde Besprechung von The Light Brigade von Kameron Hurley.

 

Perry Rhodan und seine Wegbegleiterinnen von Hartmut Kasper

Hui, hier sind aber viele Cover abgebildet! Sehr ausführlicher Essay zu PRs Wegbegleiterinnen.

 

Science Fiction Literatur 2019/2020

Der Rezensionsteil lässt mich dann schon so fühlen, als sei ich Expertin, vor allem weil ich einige der Bücher schon aus anderen Rezensionen kenne. Dark World (Laura Lam), The Store (Bernhard Kleinschmidt) und Mein Name ist Monster (Katie Hale) liegen jetzt auf meiner Merkliste. Plus, ein paar andere - und zwei Sachbücher.

Überhaupt lese ich gern Rezensionen - erst Recht so professionelle. Da kann ich mir einiges abschauen. Natürlich haben Christian Endres und co. deutlich mehr im SF-Bereich gelesen als ich, das merkt man dann auch den fundierten Hintergrundinformationen an.

 

Deutschsprachige SF-Veröffentlichungen werden diesmal nach Genre sortiert und nicht nach Länge, so wie in der SF 2019. Einige davon kenne ich auch bereits, wie zum Beispiel das Ewigkeitsprojekt. Review zu Film, Serie und Games gibt es ebenfalls erneut, genauso wie Todesfälle, Preise etc..

Mir fällt eine Tendenz auf - nun ja, eigentlich wird auch mit dem Zaunpfahl darauf gezeigt. Offenbar muss ich, wenn ich gute Stories anschauen möchte, eher auf Serien zurückgreifen. Die Filme aus der SF-Section kommen nicht allzu gut weg. Obendrein ist das Kino durch das Corona-Jahr 2020 sehr gebeutelt - während Netflix und co. wohl eher Zuwachs erhalten haben dürften.

 

Ich bin gespannt, ob ich meinen SUB und meine Merkliste spürbar abgebaut haben werde, bis die Science Fiction 2021 erscheint!

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